ZUSAMMEN

„2017”*, Folge 73, 29. November. “Durchs Land”/XV.

 

München, es ist grau, manchmal regnet es leicht. In der CSU haben sie das Hin und Her ums Führungspersonal satt. Die Spitze der Landtagsfraktion beschließt, in einer Sondersitzung am Montagmorgen den Spitzenkandidaten zur Wahl 2018 zu wählen. Die Abgeordneten favorisieren Finanzminister Markus Söder. Nun wird wohl Ministerpräsident Seehofer bald kein „Landesvater“ mehr sein. Söder freilich stinkt ihm mächtig, den will er aus dem Rennen schubsen. Joachim Herrmann soll überredet werden, gegen Söder anzutreten. Der kniet schon in den Startblöcken. Im bayerischen Intrigantenstadl rüsten sie sich für den Showdown.

Krohn kümmert’s kaum. Er denkt an seine Ex.

 

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Sie war eine zuverlässige Partnerin. Hielt penibel Ordnung in ihrem Leben. Einen dicken Terminplaner hatte sie immer in Reichweite, da trug sie sogar geplante Besuche beim Aldi ein. Neben Verpflichtungen für den Chef, der sie 24 Stunden am Tag zur Verfügung haben durfte, listete sie die Stunden im Garten, die Treffen mit Freundinnen, die Urlaube (mit Ausflügen, Restaurantbesuchen, Strandzeiten etcetera) auf. Wenn ein Termin erledigt war, bekam er ein Häkchen.

Wichtige Memos schrieb – sie wollte einfach sicher gehen – sie auf kleine gelbe Zettel, die sie bis zum Vollzug an die Kühlschranktür klebte.

Nicht erinnern musste sie sich an die Fix-Termine der Woche:

Jeder zweite Dienstagvormittag: Besuch beim Friseur.

Jeder erste Montag des Monats (20 Uhr): Pedi- und Maniküre.

Montags, zehn Uhr, ein Muss: großes Meeting im Büro.

Samstag: Putzen.

Sonntag, 20.15: Pilcher.

Die Punkte „Putzen“ und „Pilcher“ missfielen Krohn. Da hatte er nun gar nichts in der Nähe seiner Frau zu suchen. Sie nahm die Wohnung auseinander, wischte jede Ecke klinikrein, danach baute sie die Wohnung wieder originalgetreu auf. Das wäre nicht weiter von Belang gewesen – Krohn hätte sich ja in seinem Zimmer verschanzen können -, doch er hielt es nicht zuhause aus. Seine Frau beschallte die Räume in großer Lautstärke mit deutscher Schlagermusik. Verlogenes von Udo Jürgens, PUR, Grönemeyer, der Kelly Familie, Roland Kaiser. Musik zum Abgewöhnen.

Krohn floh. Er verschwand in den Bergen, fuhr mit dem Rad durchs Voralpenland. Es gab Wochenenden, an denen er gar nicht mehr heim kam. Den Montag wartete er im Hotel ab.

Es war ohnehin egal.

Denn am Sonntag wollte sie ausschlafen, später ging sie in die Kirche. Mittags machte sie ein Nickerchen, nachmittags kam jemand – meist ein Mensch, mit dem Krohn nichts zu reden wusste – zu Kaffee und Kuchen.

Sonntags um viertel nach acht musste sie fernsehen. Zweites Deutsches Fernsehen. Herzschmerz. Pilcher. Uta Danella. Deutsche Produktion in Schottland oder Schweden oder auf den Bahamas oder in Schwarzafrika. Happy End mit Zungenkuss und Heirat. Um 21.45 Uhr war die Welt dann in Ordnung.

Zu Anfang der Ehe kam dann die knappe halbe Stunde Körperlichkeit (das „schlief“ mit der Zeit ein, was weder Krohn noch sie schade fanden).

Das Licht blieb aus, die Missionars-Position wurde nicht verlassen.

Vollzug.

Waschung im Bad.

Licht an.

Noch ein paar Seiten Bettlektüre.

Licht aus.

Sie brauchte den Schlaf. Am nächsten Morgen war großes Meeting. Da musste sie frisch sein.

 

Sie hatte klare Vorstellungen vom Leben. Sie wollte berechenbar und freundlich sein. Sie mochte keine Überraschungen. Die Zufriedenheit war für sie planbar. Krohns Ex machte sich mit Behagen über die Ordner mit den Steuerunterlagen, der Geschäftskorrespondenz und den Kontoauszügen her. Briefe öffnete sie sofort, sie erledigte alle Anrufe und hielt alle Versprechungen ein.

Sie war ausgeglichen und hatte gute Manieren. Wenn sie lachte, verdeckte sie manchmal den Mund mit einer Hand. Geld gab die Ex nicht gern aus – nur bei der Kleidung sparte sie nicht.

Sie kaufte in exklusiven Häusern gediegen ein.

 

Romane sollten glücklich enden. Lange Artikel in den Zeitungen langweilten sie.

Sport: Nein.

Alkohol: Ja, eine Halbe, höchstens zwei.

Feiern: Ja, das konnte man prächtig planen.

Geselligkeit: Unbedingt.

Grübeln: Nicht ihr Ding.

Liebe: Ja, schon, irgendwie.

Hans Krohn: Da hatte sie wohl einen Fehler gemacht.

Motto: Bis der Tod…

 

Sie wollte, dass sie wer waren. Sah es gern, als sich Krohn dem Tennisverein anschloss. Weniger erbaut war sie, dass er nicht mit dem Vorstand der Bank spielte sondern mit Andy, einem stadtbekannten Betreiber von mehreren Nobel-Puffs.

Krohn und sie hatten ein Theater-Abo, aber sie mochte die Schauspielerei gar nicht so sehr.

 

Einmal war er in Bayreuth zu den Festspielen eingeladen. Das gefiel ihr, denn über den Roten Teppich ging sie gern. Dann hockten sie auf ihren guten Plätzen und schwitzten stundenlang.

Sie konnte Wagner nicht ausstehen, aber sie blieb eisern bis zum Ende. Krohn musste es gleichermaßen aussitzen.

An diesem Abend stellte er seine Ehe nachhaltig in Frage.

Er hätte auf sich hören und dem Ganzen ein Ende bereiten sollen.

Tat er aber nicht.

Und so mussten sie es noch ein weiteres Dutzend Jahre miteinander aushalten.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.