AUSVERKAUF

scheisszeitenwende 21

Annie hat sich fein gemacht. Rouge hat sie aufgelegt, die Lippen schimmern in hellem Rot. Gestern hat sie Fingernägel frisch lackiert, sie war beim Friseur. Heute hat sie was Sinnliches angezogen, den seidigen, spitzendurchsetzten Schlüpfer und das Bustier.

Die Unterwäsche hat Jahre im Schrank gelegen. Zum letzten Mal hat sie das getragen, da war der Mann noch am Leben. Er hat die Annie angesehen und gemeint, er liebe sie noch immer wie in den Tagen der Jugend. Sie hat sich gedreht in ihrer Unterwäsche, zog einen Morgenmantel an, damit sie nicht frieren würde und setzte sich an das Bett, in dem er ein paar Tage später sterben würde.

Die Wäsche sitzt noch immer. Annie hat zeitlebens auf sich geachtet. Nach der Geburt der drei Kinder ist sie nicht aus der Fasson geraten wie ihre Freundinnen. Annie war immer stolz auf ihre Disziplin.

Heute kauft sie sich etwas Teures. Vielleicht ein Jackerl aus Kaschmir. Oder einen Hausanzug. Oder ein Kleid.

Es muss Kaschmir sein. Geld ist egal.

Als sie auf der Rolltreppe in den vierten Stock steht, denkt Annie, dass sie in den nächsten Minuten Abschied nehmen muss.

Noch einmal wird sie kaufen und träumen. Hier gibt es die Hoffnung auf schöne Zeiten und die guten Gedanken fürs Geld.

Als kleines Mädchen ist sie mit der Mama zum „Oberpollinger“ und hat ein Kleid für den ersten Schultag bekommen. Das war fünf Jahre, nachdem das Kaufhaus von den Bombern getroffen worden ist.

Als junges Fräulein hat Annie den ersten Büstenhalter im „Oberpollinger“ ausprobiert, es hat sich verboten und verrucht angefühlt. Vor der Hochzeit ist einer vom „Oberpollinger“ gekommen und hat zusammen mit der Annie und ihrem Verlobten eine Geschenkliste gemacht.

Ihr Mann hat sie später auch begleitet. Ein wenig unwillig war er – aber am Ende des Besuchs hatte sie eine volle Tüte mit Damen-Dingen – und dem Mann hat sie außer den neuen Unterhosen auch ein Sakko oder einen Anzug aufgeschwatzt. Weil er so brav probiert hat beim „Oberpollinger“, durfte er gleich zum „Augustiner“ am Dom und hat sein Helles bekommen. Gefahren ist an diesen Tagen die Annie.

Der „Oberpollinger“ war für die Annie ein Ziel im guten Leben. Wenn sie vom Starnberger See in die Stadt fuhr, wollte sie es schön haben.

Die Oper. Der Stammtisch im Hacker-Festzelt. Der „Humplmayr“. Die „Lach und Schieß“. Eine Bank hinten im Englischen Garten.

Und der „Oberpollinger“.

Reingehen. Kaufen. Etwas Besseres sein. Münchnerin sein. Jung. Teuer. Mit einer Zukunft, die nicht aufhört.

Jetzt geht sie ein letztes Mal und kauft sich das Gefühl. Ein österreichischer Glücksritter hat das Kaufhaus in die Scheiße galoppiert. Ein Thailänder soll es vielleicht übernehmen.

Die Stadt ist alt geworden, wird gerade gefleddert. Die Fußgängerzone: verlottert. Die Wiesn: verhurt. Die „Lach und Schieß“: zum Heulen.

Erst einmal ist Ausverkauf in der Stadt. Dann machen die jungen Leute was Neues.

Sagen sie.

Das wird die Annie nicht mehr erleben. Seufzend schlüpft sie aus dem Kaschmir-Kleid und zieht einen sündteuren Rock über den seidenen Schlüpfe. In den Strümpfen tritt sie vor den Spiegel und sieht sich an.

Annie lächelt sich Mut zu.

Zeit fürs Aus vom „Oberpollinger“.