FINITO

„2017”*, Folge 74, 30. November. “Durchs Land”/XVI.

 

München. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen erschlug ein 42-jähriger Mann seinen 76-jährigen Vater in Abwesenheit seiner 73-jährigen Mutter im elterlichen Einfamilienhaus mit massiver stumpfer Gewalt gegen den Kopf. Der Tatverdächtige wurde noch am Tatort durch Polizeibeamte festgenommen.

Die Staatsanwaltschaft wird den Erlass eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls nach dem Ergebnis der ersten psychiatrischen Begutachtung des Tatverdächtigen beantragen.

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Sie lernten die Abgründe des Anderen peu à peu kennen.

Gemeinsames Leben als Roulette.

Sie merkten, wie falsch sie gesetzt hatten.

Ihre Farben kamen nicht.

Er hatte gemeint, er würde nun von einer perfekten Frau beschützt und könne ihr seine hündische Liebe apportieren.

Sie hatte gehofft, er würde es als echter Kerl in der Branche nach ganz oben schaffen. Außerdem wollte sie Wohlstand und ehrliche Gefühle.

Sie hat bald seine Mache erkannt: Er mimte den Herz-Empfindlichen, dabei kannte er nur Seineswohl. Er war einer, der nicht erwachsen wurde. Sie konnte sich nicht auf ihn verlassen.

Er ist auch schnell misstrauisch geworden: Eigentlich, hatte er gemeint, sei Liebe ein Magnet, ein sausend‘ Kirmesgesums, eine Auszeit von der ganzen anderen Scheiße – doch wenn es das war, dann liebte er nicht.

Sie hatten keine Freude aneinander. Ihn interessierten ihre Freunde und ihre Arbeit nicht. Sie wollte nicht wissen, was er gerade machte und plante. Am besten, man redete nicht drüber.

Es ging gut, solange er Erfolg hatte. Er gewann Preise, sie fragte, ob es auch Geld gebe, wenn ja, war sie zufrieden. Er kam mit der Anerkennung nicht zurecht. Er traute seiner Arbeit nicht.

Er hatte keinen Spaß am Geldverdienen. Man kannte ihn als Einzelgänger, als etwas kapriziösen Kreativen. Es hieß, er sei schwierig und arrogant. Hans Krohn machte sich rar – die Leute dachten, das tat er aus Hochmut, die Wahrheit war: Der Mann war schüchtern.

Dann wurde Hans Krohn 50. Sie wollte eine Feier ausrichten, er mochte es nicht. So wurde er still und leise 50 und sagte eines Tages:

„Du, wir müssen reden.“

Nein, was Besseres war ihm nicht eingefallen. „Wir hätten schon vor Langem richtig reden müssen“, fügte er hinzu.

Sie war mit halbem Ohr dabei. Reden? Worüber?

„Über uns.“

„Wieso? Ist was?“

„Ich glaube, das passt nicht.“

„Da kommst Du aber früh drauf.“

Sie sah ihn kühl an. Das war ein sehr unbehaglicher Blick. Er fühlte sich unter der Lupe.

Er spüre keine Wärme in ihrem Zusammenleben, sagte Hans Krohn. Ihm fehle der Austausch. Ihm fehle die Erotik, sie seien doch nicht wie Frau und Mann.

Sie lächelte (es war ein böses Lächeln, es machte bange). Nein, das mit Mann und Frau, das sehe er schon richtig. Aber so schlimm sei das doch auch nicht. Schließlich müsse man nicht mehr auf Wolke sieben herum turnen. Man lebe ja schon eine Zeit miteinander, da brauche es keine Sentimentalitäten.

Er sah sie an. Ja, wie sie sich denn die Zukunft vorstelle?

„Das ist doch nicht schwer. Wir machen weiter wie bisher. Uns geht es doch ganz komfortabel.“

Das Gespräch war beendet.

Man ging zu Bett. Sie verschwand im Schlafzimmer, er stieg in sein Büro und legte sich auf der Couch hin. Blickte noch lange an die Decke und malte sich das Leben aus. Dann löschte er das Licht.

Er schlief schlecht. Schwitzte. Taperte um drei Uhr morgens in die Küche, dort trank er eine Weile Bier.

Es wurde nicht besser. Das Grauen vor dem, was da wohl noch kommen würde, blieb.

Hans Krohn ging ins Schlafzimmer und holte still ein paar Klamotten. Sie drehte sich um und öffnete kein Auge. Sie schnarchte leise.

Er sah auf die Frau und hatte kein Gefühl.

Schade, dachte er.

Dann verließ er das gemeinsame Leben. Es war noch früh am Morgen, er war leicht berauscht.

Erstmal weg, dann würde man sehen.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.

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Die Bilder sind berückend, aufs Betexten bin ich ganz scharf.
Haben Sie Interesse?
Wir grüßen und sind herzlich
Barbara Volkmer und Detlef Vetten