ZENTRALE

23. märz 2017         ———            DER NEUE, Tag 63

New York 1980

 

Was meinste? Ich verplempere meine Zeit mit der Sauferei? Ich vergeude mein Talent? Ich könnte es mir schöner machen?

Klar sagen das die meisten. Da reden sie wie Mom und Dad und die Geschwister und die „guten“ Freunde von früher.

Aber ich will Dir jetzt mal erzählen, wie das wirklich ist, wenn man seine Tage verschleudert, seine Gefühle begräbt, sein Leben in die Garotte steckt.

Das ist wie damals, als ich nach dem Studium in den väterlichen Betrieb eingestiegen bin.

T MANAGEMENT

Avenue Z, Gravesend.

Ein grauenhafter Ort. Nichts konnte einen da ablenken. Das Büro war früher die Praxis eines Zahnarzts gewesen. War mir schon klar, warum der wieder aus der Avenue Z raus gewollt hatte. Auf der einen Seite mussten die Patienten zum Rangiergelände der Bahn gucken – da war 24 Stunden am Tag Betriebsamkeit, von dort kamen bei Westwind graue Schwaden mit schlechter Luft. Im Norden donnerte ein nicht erlahmender Verkehr über den Belt Freeway. Im Süden sollte ein großes Klärwerk entstehen. Und aus dem Osten jaulten unablässig die Sirenen der Krankenwagen, die das Coney Island Hospital mit Krankheit und Sterben versorgten. Die Straße waren vermüllt und grau, in dieses Viertel verirrte sich niemand, der nicht hier wohnte oder zu tun hatte. Die Geschäfte waren versifft, und hinter den Verkaufstheken hatte jeder eine Waffe.

Hierher wollte doch niemand, der sich seine Zähne in Ordnung bringen ließ. Da bist Du nach der Behandlung auf die Straße getreten – und sie haben Dir gleich mal das neue Gebiss zu Brei gehauen.

Das war für Dad der richtige Ort, seine Geschäfte zu führen.

Nicht dass Du meinst, er hätte schlecht gearbeitet. Vater war in den Sechzigern schon rund hundert Millionen schwer, das Geld wurde mehr und mehr.

Aber das mochte er sich nicht mit einem feinen Building in Manhattan beweisen.

Besucher mussten Mitgefühl mit dem armen Fred haben. Neben dem Pult der Empfangsdame – es war eine übergewichtige Grauhaarige mit einem Abo auf schlechte Laune – stapelten sich Pakete und Päckchen. Die großen Fotos der wichtigen Baustellen verstaubten in ihren billigen Glasrahmen.

In seinem Büro – sechs auf acht Schritte, das Fenster zeigte auf die Avenue Z, an der Fassade des gegenüber liegenden Gebäudes blinkte eine Cola-Werbung, im Erdgeschoss gab es eine annehmbare Pizzeria neben einem Food Mart – verging jedem die Lust auf alles. Außer er wollte Geschäfte fädeln.

Zwei Schreibtische, beide wacklig und bejahrt, hatte sich Dad in sein Büro stellen lassen. Am großen arbeitete er, den anderen hatte er für den Filius bestimmt. Aktenschränke, Stühle mit Rollen, Neonröhren an der Decke –  alt, schmuddlig, ungastlich. An den Wänden Zertifikate und Verträge, eingerahmt wie Siegerurkunden. Ein paar Fotos von Dad mit Geschäftspartnern (einige kannte ich, weil sie bei uns in Queens ein und aus gingen, das waren meine „guten Onkels“, die sich später als gar nicht so ehrenhafte Mitglieder der Gesellschaft heraus stellten), Aufnahmen von Fred T als Fischer, Jäger und kühner Bauherr.

Auf dem Tisch ein Porträt meiner Mutter. Das Telefon. Der Stapel mit Akten, die bearbeitet werden mussten.

Vater bei der Arbeit: waagrechte Falten auf der Stirn. Große Brille. Der Stift in der knochigen Hand. Ein paar Striche, ein paar Bemerkungen, Wörter in Hast aufs Papier gekritzelt, ab und zu eine Unterschrift. Vorgang auf den Stapel neben dem Telefon.

Fertig?

Fertig!

Das Sakko übergestreift, runter auf den eingezäunten Parkplatz. Mit dem Cadillac zu einer der Baustellen. Kontrollieren. Delegieren. Maßregeln. Drohen. Herrschen.

Nächste Baustelle.

So gingen die Tage ins Land. Der Vater in seinem Element, ich in seinem Schlepptau.

Ich mochte es nicht.

Im Büro bekam ich Atemnot und Beklemmung. Auf den Kontrollgängen konnte ich mich nicht ausstehen. Ich wollte nicht delegieren und drohen. Ich wollte nicht berechnen, wie Bauen billig gemacht werden kann. Ich wollte die Furcht in den Gesichtern der T-Angestellten nicht sehen.

Anfangs habe ich mir noch Mühe gegeben. Ich habe die Berichte und die Projektbeschreibungen gelesen und nachgedacht, was ich ändern würde.

Aber warum, bittesehr?

Da war die Geschichte mit den Fenstern – danach hatte ich endgültig keinen Spaß mehr an der Arbeit meines Vaters.

Morgen: Die Sache mit den Fenstern und die Sache mit Don