WOHIN?

“2017”*, Folge 15, 2. Oktober, Wolken.

Es ist nichts los, da oben im Wald. Edmund mag den Vater nicht mehr auf der Pirsch begleiten. Edmund mag nicht in die Schule, wo sie ihn als den “Grünen” hänseln. Edmund hasst die Gartenzwerge in der Gemeinde. Fußball mag er nicht, die Schulbücher  liest er nicht. Nein! Nein! Er weiß überhaupt nicht, was er mag.

In Schmitten verliebt er sich in Fräulein Durbein, die Lehrerin. Er legt ihr einen Blumenstrauß aufs Katheder – sie schaut über die Klasse hinweg, mit diesem strengen Blick, der Edmund einen schönen Schauer macht. Dann macht sie weiter im Stoff, als sei nichts geschehen. Nach dem Unterricht lässt sie die Blumen liegen.

Echt nichts los. Edmund hat nicht mal eine Röhrenjeans. Der Plattenspieler gehört dem Papa. Der hört Hans Albers. Oder Freddy Quinn.

Keine Freunde, keine Liebe,

wie es früher, früher einmal war.

Hoffnungslos ist keiner auf der Welt.

Einmal kommt für jeden die Zeit.

Und ich weiß, ich weiß das Schicksal

hält auch für mich noch einmal bereit:

Ein paar Freunde, eine Liebe,

daran denke ich das ganze Jahr.

Ein paar Freunde, eine Liebe,

wie es früher, früher einmal war.

Ein paar Freunde, eine Liebe,

ein Zuhause, ein Glück.

Das legt der Vater auf und wird ganz anders. Er umgreift seine Frau, die bekommt ein schönes weiches Gesicht.

Sie tanzen. Die Tür geht zu.

 

Eddy, der Eddy von 2017 – hat feuchte Augen. “Junge, fahr nie wieder hinaus” hat seine Mutter gesummt, er hört es heute noch.

 

Aber die Jungs müssen hinaus. Auch Edmund, der “Grüne” aus dem Forsthaus, unterm Feldberg.

Er steht mit einem Pappkoffer an der Passstraße und wartet auf den Bus nach Frankfurt.

Die Mutter wischt sich die Augen, der Vater drückt ihm einen Zehner in die Hand.

“Pass auf Dich auf.”

Der Vater sieht überhaupt nicht groß aus. Er hat Angst. Der Vater, wohlgemerkt.

Edmund hat keine Angst.

Er hat – nix.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.