VATER

“2017”*, Folge 14, 1. Oktober. Merkur, der Kommunikationsplanet, tritt in die Waage, den Planeten der Liebe

 

Eddy ist wieder der kleine Edmund.

Spindeldürr, von Mai bis Oktober in kurzen Hosen, außer bei kirchlichen Festen.

Der Edmund vom Forstamt. In der Schule hat er einen Spitznamen. Er ist der „Grüne“ – da ahnt noch keiner, dass es mal Grüne geben wird, mit denen Edmund wunderbar klar kommt.

Ein Einzelkind ist er, die Mutter hat ihn sehr lieb. Sie liest mit ihm, er lernt das Kochen und das Flöte-Spielen. Sie hilft bei den Hausaufgaben und tröstet ihn, wenn er als der „Grüne“ mal wieder Dresche bezogen hat.

Die anderen Kinder mögen den Edmund aus dem Wald nicht besonders. Und sie haben Angst vor seinem Vater. Das ist ein düsterer Mensch, der aus dem Nichts auftaucht, wenn die Kinder im Wald etwas bauen oder als Cowboys und Indianer unterwegs sind.

Plötzlich tritt dann dieser furchteinflößende Förster hinter einer Tanne hervor und brüllt, dass selbst Wölfe Reißaus nehmen würden.

Edmund sieht den Vater nicht sehr oft, der ist eben meistens im Wald. Aber wenn er mal zuhause ist, ist er nicht ganz übel. Ein großer Mann mit einem vollen rötlichen Bart. Der Vater lässt die Axt in große Trümmer Holz rauschen, dass sie sich verbeißt. Er kann dann alles über den Kopf heben und auf den Hackstock wummern lassen.

Das Holz zersplittert, schnaufend steht der Vater vor dem Chaos, das er anrichtet.

Zackrums!

Der Vater ist sehr stark.

Er redet nicht viel. Wenn er das Holz zerschlägt, brummt er seinem Sohn zu (er hat eine Stimme, tief wie das Knurren des Bären): „Zurück, Du musst aufpassen. Das ist gefährlich.“

Scheu macht Edmund drei Schritte nach hinten und schaut bewundernd dem Vater bei der nächsten Runde zu.

Rrums! Rrrums!

So ist der Vater:

Rrums! Man darf ihm nicht zu nahe kommen. Gefährlich.

Als Edmund zehn ist, lässt sein Vater zum ersten Mal Nähe zu. Er nimmt den Sohn mit auf den Hochsitz. Stundenlang hocken sie wortlos da und gucken in den Wald. Edmund mag diese Zeiten. Er hängt seinen Gedanken nach, muss nichts tun, nur still sitzen. Er spürt den Vater neben sich, riecht den feuchten Filz der Lodenjoppe. Manchmal kramt der Vater ein Wurstbrot aus dem Rucksack und gibt es wortlos an den Sohn weiter. Sogar Kaffee darf er trinken, zusätzlich zur Limo, die er sich einteilen muss.

Einmal schießt der Förster. Sie stapfen vom Hochsitz durchs Unterholz, bis sie das tote Reh finden. Edmund fühlt sich elend. Schlimmer kann’s nicht werden.

Doch, es wird schlimmer. Der Vater schultert das Tier, das sich weich um seine Schultern legt. Zurück im Forstamt schlitzt er das Reh auf und entnimmt die Innereien. Edmund ist ganz bang – er mag gar nicht zusehen, wie das Leben aus dem Tier gezerrt wird.

Aber der Vater entlässt ihn nicht.

„Du lernst das jetzt. Vielleicht wirst selbst mal ein Förster.“

Als alles vorbei ist, will Edmund sich in seinem Zimmer verstecken. Die Mutter fängt ihn im Gang ab und fragt, was er habe. Edmund sagt:

„Ich werde nie ein Förster. Nie.“

Die Mutter nickt. Wie gut sie doch ihren Sohn versteht.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.