WELT ADÉ

27. märz 2017        ———-         DER NEUE, Tag 67

New York, 1980

 

Ob dieses Schreiben etwas bringt, weiß ich nicht, nee, ich habe da wenig Hoffnung, das ist wohl ein grandioser Rohrkrepierer, denke ich, vielmehr bin ich ziemlich sicher, dass…

 

…ich vom Stöckchen aufs Stäbchen gerate, dass ich mich verheddere in Erinnerungen, die mich zumeist betroffen machen und noch tiefer in die Kacke reiten, so ist es ja auch der Fall gewesen, als ich aufgeschrieben habe, wie mein Bruder mich als fliegenden Omnibusfahrer verhöhnt hat, das hat er ja nur getan, weil er mich klein machen und verletzen wollte, was ihm ja auch wunderbar gelungen ist, denn nach der Angeltour bin ich drei Wochen in den Kneipen von Queens versackt, war nur zum Wäschewechseln in meiner Wohnung, die mehr und mehr vermüllte,

zum Schluss ging es gar nicht anders, ich musste zur Mutter und fragen, ob sie einen Rat für mich wüsste, sie hatte ja nur darauf gewartet und gemeint, sie schickte den Chauffeur, der ist wirklich zu meinem Appartement, hat die ausstehende Miete bezahlt und das Meiste, was er in der Wohnung vorfand, in den Müll geschmissen, der Rest kam in mein früheres Jungen-Zimmer in der Villa der Eltern,

wo Vater mir zum Einzug einen Vortrag gehalten hat, gefragt hat er, ob ich in eine Klinik wolle, nein, habe ich gebrüllt, Einzug ist okay, Entzug geht gar nicht, in die Klapse kriegt mich keine Sau, Dad zuckte mit den Achseln und meinte, ich solle machen, was ich wolle, er gebe mir ein Taschengeld, und ich solle mit meiner Sauferei der Familie keine Scherereien machen –

da war er zuversichtlich, denn er wusste, dass ich ein friedlicher Trinker bin, ich randaliere nicht und habe mich selten geprügelt, ich zahle meine Zeche und bin überall gern gesehen, und wenn es zu schlimm wird mit der Berauschtheit, lasse ich mich nach Hause fahren, schließe hinter mir ab und gebe mir unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Rest,

das weiß Dad – deswegen finanziert er mir das Saufen ohne Murren – und ansonsten hat er mich abgeschrieben, es hat ihn auch nicht interessiert, dass bei mir im Zimmer die Schreibmaschine klapperte –

nur Mutter fragte, was ich denn da tippte, ich habe drum herum geredet, weil ich nicht glaube, dass es hilfreich wäre, wenn die Mutter wüsste, dass ich beschreibe, wie beschissen ich meine Familie finde,

aber langsam schwindet der Mut, ich hatte ja gehofft, durchs Aufschreiben würde es mir besser gehen, aber es wird und wird nicht besser, ich finde mich beschissen und meinen Bruder beschissen, und die Eltern kommen auch nicht gut weg – und nachdem ich jetzt aufgeschrieben habe, wie es gewesen war, als Donald mich als fliegenden Busfahrer bezeichnet hatte, hat es mich richtig derb geschleudert, ich bin mitten im Satz aus dem Zimmer und rüber nach Manhattan,

habe die Bars abgeklappert, und der Teufel wollte es, dass auch ins „Wonderful“ rein fiel, wo die Leute sich aufführten wie am Letzten Tag, es war auffällig, alle hatten so einen in der Krone, dass ich verwundert gefragt habe, ob ich was verpasst hätte, Weltuntergang oder so, da haben die Girls das Heulen angefangen und die Kerle ihren Schnaps auf ex gekippt –

einer sagte,

„gestern ist der Chef, du kennt ihn sowieso, der Mike, der mit dem Pferdeschwanz, (‘n bisschen geizig, aber wenn er besoffen war, ist er doll großzügig gewesen)“,

halt mal, frage ich, was heißt da „ist gewesen“, was meint er damit,

„naja, sage ich ja, er ist eigentlich ein guter Typ gewesen, aber jetzt ist er tot, und das ist so schnell gekommen, dass man sich nicht mal die Augen reiben konnte,

weil, am helllichten Nachmittag torkelt der Mike ins ,Wonderful‘, keiner denkt was Böses, aber komisch ist es schon gewesen, denn der Mike ist in Schlappen in die Bar geeiert, und unterm Mantel hat er nichts angehabt, außerdem hat er saumäßig gelallt, ein Bier hat er bestellt und gekippt, einen Schnaps hinterher, dann schreit er, er will noch einen und ,Heute wird gestorben‘ – dann fällt er um wie ein sauber gesägter Baum, der Bademantel geht auf, und der Mike knallt, mit den Klöten voran, auf die Dielen,

der hat schon nichts mehr geschnallt, als er unten ankam,

wir stehen dusslig rum, bis einer meint, da muss man wohl die Sanis rufen, und als die kommen, läuft aus dem Mike nicht mal mehr der Speichel zwischen den Zähnen raus, das macht gar keinen Sinn, wie sie sich an dem abarbeiten mit Wiederbelebung und so, sie verladen ihn in den Wagen, bringen ihn ins Krankenhaus –

später erfahren wir, dass sie ihn im Auto weiter behandelt haben und im Krankenhaus wollten sie dem Mike noch ein künstliches Koma verpassen, aber wie sie ihm noch die Schläuche legen, macht er endgültig die Biege, so oder so ähnlich ist das wohl gelaufen, und jetzt ist er tot, und seine Frau hat ausrichten lassen, heute geht alles aufs Haus, weil er das so gewollt hat“ –

was ich natürlich prima fand und mich in die Totenwache einreihte, wir waren wackere Trinker, die an diesem Abend und in den nächsten Tagen mutig ans Limit gegangen sind, wir haben gelacht und geheult und gekotzt und hinterm Tresen gepennt – und die Geschichten über den Mike sind immer verwegener geworden –

irgendwann habe ich gestunken wie ein schwefelgetränkter Skunk, der Taxifahrer wollte mich gar nicht einladen, mit dem musste ich einen speziellen Preis aushandeln –

nun sitze ich in meinem Zimmer, denke an Mike, mag die Taste mit dem Punkt nicht mehr, mag die Gedanken, die noch aufs Papier müssten, nicht, mag überhaupt nicht und habe das Gefühl, dass…

 

…dieses Schreiben nichts mehr bringt, Zeit, dass ich mich aufs Saufen konzentriere, echt, anders geht es wohl nicht, Schluss, fertig, aus, punktum

Morgen: Alles Schreddern – oder was?