WEG!

Krohn wird umziehen. Weg aus der lauten Stadt. Weg in die Welt. An den letzten Tagen sieht er sich noch einmal um. Lokaltermine, jeden Morgen um dreiviertel sechs in Berlin und im Brandenburgischen.

 

Kind eins, Kind zwei, Kind drei.

Her damit.

Sie hat geschrieen und gejammert im Kreissaal.

Ihm war ganz blümerant gewesen. Nach der ersten Geburt ist er in einen Wald gefahren und hat geheult. Er war der einfache Max, warum sollte er Vater sein?

Die Kraft war ja noch in seinen Armen. Gerüste hat er geschraubt, bis die Hände nicht mehr konnten. Ist nach Hause gekommen, da waren’se dann schon:

Frau.

Kind 1.

Kind 2.

Kind 3.

Wollten, dass er da war.

Mehr nich.

Er war sich nicht behaglich.

 

 

Die Menschen im Flur standen bleich, schweigend, mit schwerem Atem. Der hagere Mann in der Schirmmütze schien mit einem versteckten, grimmigen, sachverständigen Lachen die Einschläge zu schätzen. Vielleicht war er einer aus dem großen Kriege, ein Zurückgekommener, und kannte das Spiel …

Im Flur war es fast dunkel. Aber auch draußen auf der Straße hatte sich eine Dämmerung herabgeschlichen, in der alle gewohnten Laute der Erde zu ersticken schienen. Dann ging ein ängstliches Flackern quer über die Scheibe des Haustors, einen Augenblick irrte der pfeifende Schrei von flüchtenden Vögeln zwischen den Häusern entlang, – und dann war wieder lastende Stille unter der schattenverdeckten Sonne. Erstorbene Mondluft schien über der vereisten Erde zu liegen und mit tausend weitsaugenden Mündern alle Farben einzuschlucken.

 

Paul Gurk ist schon früh gestorben. Sein Körper lebte noch, aber er, der Paul Gurk mit den hohen Plänen, war hinüber. Der Rest war Sehnsucht.

 

Max, der Mann vom Bau, fühlte sich wie tot, während die Kinder um seine Beine tobten. Ein Mann wie ein Baum – und tot innendrin.

Sonntags büxte er aus. In den Tiergarten, in den Norden der Stadt. In Kaschemmen. Weg.

 

Die Dielen des Tanzsaales dröhnten unter den Hufschlägen der benagelten Stiefel Die modischen Anzüge aus dem Kaufhause würgten sich um die eckigen Glieder der Bauernburschen, der Knechte, der Ziegeleiarbeiter. Eckenpenn saß stumm vor seinen Bratkartoffeln. „Auch hier ist Berlin“, grübelte er, „auch hier ist die große Stadt. Erwürgt sie auch schon das Dorf? Wie weit geht sie hinaus und frisst mit ihrem steinernen Maul und den eisernen Zähnen das Land auf, mit einem Biss Hektare ausreißend und Brache, Äcker und Wälder in den Schlund schickend? Das ist Berlin“, dachte er grimmig.

 

Doch nun ist finito mit Fliehen. Max hat die Kraft nicht mehr. Er wird jetzt einfach, an diesem Morgen um sechs Uhr, nicht in die Firma gehen. Er wird kehrt machen.

Weg.

 

In den Tannenzweigen beginnt es zu rascheln, zu rauschen. Trotz eines sonderbaren Zwielichts ist es so, als sänge ein Chor von Vögeln – sogar ein Quartett… Ist das erhört? Das geht doch gar nicht… Aber es ist die Melodie eines Chorals, welches nur?

Ich schreite in mich hinein. Es gibt ein elektrisches Zucken in mir. Der Weg, der Wald, das Dämmerlicht: alles zerreißt, entschwindet, wird zur Staubwolke.

Die Staubwolke senkt sich herab, wird zerblasen.

Ich sehe einen Friedhof. Sturm heult. Die Trauerweiden biegen sich. Blätter segeln über die Reihen der Gräber, taumeln, bleiben auf den Hügeln oder in den schmalen Zwischenwegen liegen.

Vier Männer tragen einen Sarg.. Ich höre, wie sie sich unterhalten, während sie in die Hände spucken und graben.

„Naja, freijejem ha’m sie ihn ja. Der muss doch keenen jehabt ha’m, nich?“

„Nee, keen Aas, keene Menschenseele.““Du, da looft ja so’n kleener schwarzer Köter hinterher und lässt den SWchwanz hängen.“

„Mensch hau ab, hier is keen Herrchen.“

„Schmeiß doch ‘nen Stein nach die Töle! Der heult ja wie ‘ne Witwe.“

„Der wird Hunger ha’m. Weg! Mensch, jetzt singen ooch noch die Vöjel wie’n Männerchor.“

 

GENAU!