MAX, PAUL, SIE

Krohn wird umziehen. Weg aus der lauten Stadt. Weg in die Welt. An den letzten Tagen sieht er sich noch einmal um. Lokaltermine, jeden Morgen um dreiviertel sechs in Berlin und im Brandenburgischen.

Max erinnert sich bisweilen daran, dass er auch mal so Träume hatte. Wer hat die nicht? Wenn er noch jung ist und einer der Kräftigsten in der Bau-Brigade. Wenn er im Kahrener Sportverein zum Capo gewählt wird, als sie den neuen Rasenplatz anlegen. Wenn er in der Disco die Mädels im Akkord umnietet, weil er die besten Sprüche drauf hat.

Damals – Sturm und Drang, verstehste? – hat für den Max die Zukunft noch die tollsten Szenarien parat. Vielleicht wird er sogar irgendwann nach Berlin umsiedeln, vielleicht wird er in Mitte wohnen und mit seiner Familie unterm Alex Eis essen. Im Urlaub Bulgarien, das Meer und Kinder-Machen unterm südlichen Sternenhimmel.

Ja, solche Sachen hat er sich schon vorgestellt, der Max.

Aber dann hat er sich, Mal für Mal, die Nase an der nächsten Mauer blutig gerannt.

Ist an der Frau hängen geblieben. Die Kinder haben sie in der Zweiraumwohnung in Cottbus Ost gemacht, sonnabends, danach ist er noch in die Kneipe, weil er unzufrieden war mit alledem.

 

Und irgendwann hatte es sich mit dem Träumen.

 

 

Der Wagen war natürlich überfüllt. Die Leute standen oder saßen eng zusammengedrückt, hustend, im Tabaksqualm, bösartig glotzend oder in die Zeitung stierend. Hass gegen den sogenannten Mitmenschen, der Raum beanspruchte, dampfte erstickend.

An den Trittbrettern hingen Geschöpfe, die mit einem satanisch-amtlichen Witz Fahrgäste genannt werden und durch Entrichtung von Geld einen Beförderungsvertrag schließen.

Verzweifelnd aber, ein stygischer Fährmann, ein Seelenverkäufer mit Überfracht, zwängt sich der Schaffner durch die Schatten. Schwer hocken sie da oder hängen halb schlafend an den Haltestricken, taumelnd wie aufrechtstehende Ertrunkene in der Strömung am Grund des Meeres. Ein Kind schrie unausgesetzt. Die Mutter sah sich Beifall heischend um, stolz darauf, dass ihr Erzeugnis so brüllen konnte.

 

Max ist ja einer von ihnen. Er hockt zwischen schwitzenden Frauen und Männern auf seinem Sitz in der U-Bahn und hat mit seinem Handy zu tun.

Facebook. Kleines Spielchen. SMS. Wieder daddeln.

Sowas.

Links von ihm tippt eine Rothaarige einen Text in das Telefon. Rechts liest der massige, ungut riechende Büromensch seine Post. Gegenüber haben sie sich aus der Gegenwart weg gebeamt.

Ein junger magerer Mann steigt zu und wünscht mit kräftiger Stimme einen Guten Morgen. Er entschuldigt sich für die Störung, aber er sei nun mal auf der Straße und brauche ein wenig Kleingeld zum Überleben.

Vortrag beendet. Der junge Mann schlingert durch den Wagen, bekommt keinen Cent, steigt aus.

Max steckt das Handy ein. Er ist gleich da.

Jeden Morgen die gleiche Scheiße.

 

Fredi, Hermines Tanzpartner, brauchte ganz dringend Gold. Es kam heraus, dass wohl eine Art Unterschlagung vorliege, die schleunigst wieder gut gemacht werden müsse. Das Mädchen war mit ihrem Geld zu Ende. Sie liebte es ja auch ohnehin nicht, mit ihrem Geld am Anfang zu sein. Eckenpenn sollte also helfen.

„Aber ich habe nichts!“

„Ein so solider Mann in gesetzten Jahren hat immer was“, hatte Hermine entgegnet.

„Und wie komme ich dazu, diesem eleganten Jüngling mit dem Likörgesicht und den Tanzschuhen etwas zu geben?“

„Sie geben doch ihm nicht, Eckenpennchen, Sie geben’s mir!“ hatte das Mädchen gebettelt.

„Aber der Mensch ist doch ein Lump! Er hat unterschlagen!“

„Aber – er tanzt doch zu schön!“

„Und er nutzt Sie nur aus, Hermine! Er wird immer Geld brauchen! Er tut nichts. Er ist ein Tagedieb!“

„Aber tanzen ist auch Arbeit, ist Nachtarbeit!“

„Sie werden es bereuen, Hermine!“

„Ich – und bereuen? Ich werde doch etwas so Altmodisches nicht machen!“

 

Er hätte auf seinen Kumpel hören sollen. Er solle die Finger von der Schlampe lassen, hatte der gemeint. Solle lieber einen ordentlichen Stiefel durch ziehen, saufen, bis der Arzt kommt, okay. Aber Griffel weg von der Schlampe.

Er hat nicht auf seinen Kumpel gehört. Die Mucke war anregend, er: scharf wie Nachbars Lumpi. Getrunken hatte er auch schon was, gerade so viel, dass es noch mehr aufgeilte.

Also ließ er die Finger nicht von ihr.

Max weiß es heute nicht mehr (ist schon ewig her) – aber sie war wohl gut im Bett. Ansonsten hätte er es doch bei der einen Nacht bewenden lassen.

Nee, er erinnert sich echt nicht mehr, wie sich das alles entwickelt hat, damals in Cottbus.

Da sind nur noch Fetzen:

Spaziergang am Sonntagnachmittag.

Kaffee und Kuchen bei ihren Eltern. Mamas Sauerbraten mit ihr als Gast.

Das “Du” mit den Eltern des Anderen.

Wieder so ein Spaziergang. Sie sagt: „Wir müssen reden. Ich will Kinder haben. Was ist mit Dir?“

Wie?, fragt er. Was soll mit mir sein?

„Willste auch Kinder?“

„Äähm.“

„Weil – wennde keine willst, dann hat das keine Zukunft mit uns.“

Okay, dann hat er ihr eben den ersten Schraz gemacht.