WARTEN MIT BRUCE

sommer zwanzichfuffzehn XXI

“Ja, erzähl mir von Dir.” Sabrina sprach mit Hans Krohn – man kannte sich gerade mal einen halben Tag -, als seien die beiden vertraut wie zwei Menschen, die schon viele Zeiten zusammen gehabt hatten. Sie sah ihm in die Augen und meinte es ernst.

Was auch immer.

“Wer ist dieser Jan, den Du da getroffen hast? Als es Dir nicht so gut gegangen ist.”

Ein Pole sei es, sagte Krohn. Einer, der sich nicht klein kriegen lasse. “Ich habe oft an ihn gedacht, wenn ich nicht mehr weiter gewusst habe. Ich habe ihn auch besucht, als er mit seiner Familie in Polen Urlaub machte. Dort, wo er her kommt. Weißt Du Sabrina, wenn ich sehe, was Jan alles passiert und wie sie mit ihm umgehen, dann bekomme ich einen richtigen Zorn. Er hat das nicht verdient. Und er ist hier falsch. Aber er will es nicht einsehen. Da kämpft er lieber.”

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Nachfragen half bei Jan nicht. Was er nicht von selber sagte, konnte man nicht aus ihm heraus locken.

Jan war ein schweigsamer zuverlässiger Mann. Irmina hatte sofort an ihm gemocht, dass er kein Gewese um sich veranstaltete. Er war nicht gewesen wie die anderen Jungs in dem Ort bei Gleiwitz. Die hatten schon früh  mit dem Biertrinken angefangen und standen auf harte böse Musik. Sie malten sich aus, mit welchen Tricks sie ganz viel Geld machen und es dann im Westen auf den Kopf hauen würden.

Jan war anders. Bier ja – aber selten zuviel. Schnaps nein. Er machte seinen Abschluss und bildete sich weiter. Nach der Schule, der Lehre, der Meisterprüfung und der Zeit an der Fachhochschule bekam er bald einen Job als Lehrer an der Fachhochschule.

Da waren sie schon fünf Jahre miteinander gegangen. Sie wusste, dass sie keinen Anderen wollte; er fühlte sich bei ihr zuhause. Sie heirateten, Irmina bekam zwei Kinder. Eine Dreizimmerwohnung hatten sie. Die Heizung bockte ab und zu. Der Nachbar zur Linken soff und verprügelte seine Sippe. Der Nachbar zur Linken drehte krumme Dinger, das wusste man. Die Aufgänge im Hochhaus waren versifft, und der Lift funktionierte die meiste Zeit nicht.

Irmina wollte weg. Vor allem wegen der Kinder.  Sie wollte, dass man als Familie lebte wie die Menschen in diesem hellen wunderbaren Berlin, das sie ein paar Mal besucht hatten.

Jan wollte eigentlich bleiben. Seine Arbeit gefiel ihm, er brachte genug Geld nach Hause. Bald würden sie sich ein Auto leisten können, für zwei Wochen Urlaub im Riesengebirge reichte es auch. Also, was wollte man mehr?

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Urlaub von Berlin FOTO: BARBARA VOLKMER

„In Deutschland“, sagte Irmina, „verdienst Du mit deinen starken Armen und Deinen Erfahrungen soviel Geld, dass wir in zehn Jahren hier ein Haus bauen können. Das ist doch was Anderes als ein Auto und 14 Tage Ferien bei den Tschechen. Außerdem – wenn wir in Deutschland sind, fliegen wir im Urlaub nach Mallorca. Wie alle Anderen auch.“

Das sagte sie so oft, bis er kündigte, sie ihre Habe und die Kinder in einen Mietwagen  luden und nach Berlin fuhren. In die große helle Stadt und die wundervolle Zukunft.

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So lang war er noch nie weg geblieben. Irmina sah auf den Wecker. Kurz vor zwölf. Aufs Buch konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Schlafen auch nicht. Sie stand auf, schlüpfte in die Pantoffeln, warf den Morgenmantel über und schlappte in die Küche. Sie brühte Wasser auf und goss es in die große Tasse. Nach einer Weile fischte sie den Teebeutel heraus und warf ihn in den Mülleimer. Irmina ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernsehapparat ein. Bruce Willis rannte blutend durchs Bild.

Die Sorgen machten Irmina alt. Ihre Haut war grau, das blonde schulterlange Haar stumpf. Aber schöne Fesseln hatte sie. Abwesend sah sie zu, wie Bruce Willis die halbe Welt rettete.

Nein, so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Nun waren sie seit zweieinhalb Jahren in Berlin und bekamen noch immer kein Bein auf den Boden. Es war wie verhext. Sie ließen sich nicht gehen und schufteten und waren sich für nichts zu schade. Aber die Angst hörte nicht auf.

Jan war ein geschickter, lebenskluger Mann. Was der anpackte, funktionierte. Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als würde er mit seinen handwerklichen Fertigkeiten der Familie eine gute Existenz sichern. Er bekam Aufträge, einen nach dem anderen.  Sie waren gut versichert, zahlten pünktlich Steuern, konnten sogar eine Kleinigkeit zurück legen.

Nach einem Jahr wollte er das Geschäft professioneller aufziehen. Er kaufte einen Computer, richtete eine Homepage (www.jan-macht-alles.de) ein, schaffte einen Pritschenwagen an, ließ sich ein Firmenlogo einfallen, machte ein paar tausend Euro Schulden

Dann hatte er auf einmal nicht mehr genügend Aufträge. Der Dispo war ausgereizt, die Versicherungen quengelten, die nächste Steuerzahlung würden sie nicht stemmen können.

Es ging nicht anders: Jan musste sich geschlagen geben. Er landete auf dem Arbeitsamt. Man strandete bei Hartz IV.

Damals hatte Irmina Angst, ihr Mann würde zerbrechen. Er redete kaum noch. Er brauchte Wochen, um wieder in den Alltag zu finden. Jan starrte auf den Fernseher und war wie gestorben. Irmina blieb nichts übrig als zu hoffen und ihrem Mann Zeit zu lassen.

Sie hielten stand. Sie ließen sich Zeit und vertrauten. Was sollten sie auch sonst machen? Irmina und Jan waren auf sich gestellt.

Sie arrangierten sich. Als Jan wieder redete, besprachen sie, ob sie in Berlin bleiben wollten. Ja, sagte diesmal Jan, während sie noch zögerte. Er wollte es beweisen – was auch immer „es“ war.

Also blieben sie.