JAN

sommer zwanzichfuffzen XX

Ob sie das überhaupt hören wolle, fragte Hans Krohn. Ob es sie wirklich interessiere, was sich so in seinem Leben tue.

Sabrina – dunkle Augen, braungebrannte Beine, luftiges Blumenkleid, Sandalen und rotlackierte Zehennägel, ein klein bisschen Parfüm – nickte und drückte seinen Arm. Sie hatte sich bei ihm untergehakt. Langsam schlenderten sie über eine kleine Promenade, manchmal wehte ein kleiner Wind, der vom See kam, in ihren Rock.

“Ja, ich will wissen, wer Du bist. Wenn Du erzählen willst.”

Wo er denn anfangen solle.

Egal. Vielleicht: Warum es ihn hierher in die Provinz verschlagen habe. Er sei doch aus Berlin, das habe sie richtig verstanden, oder.

Ja.

Also, warum war er hier?

“Ist alles zu einem Problem geworden. Ich muss in Ruhe nachdenken, was ich will. Gestern und heute ist mir durch den Sinn gegangen, dass es noch gar nicht lange her ist, da habe ich gedacht, ich komme nicht mehr auf die Beine.”

Wie er das meine?

“Naja, ich habe geglaubt, das ist das Ende, verstehst Du. Kein Geld, keine richtige Arbeit. Hartz IV wollte ich nicht. Alle möglichen Jobs habe ich gemacht, anders ging es nicht. Für mich war das ziemlich schlimm.”

“Hast Du keine Freunde?”

“Nicht viele. Und wenn der Job weg ist, sind es plötzlich ganz wenige. Obwohl: Dann kommen auch wieder welche dazu. Ich habe mal mit einem Polen zusammen gearbeitet, der ist heute sowas wie ein Freund. Als ich wieder angefangen habe zu schreiben…”

“Du schreibst?”

“Ich versuche es.”

“Kannst Du davon leben?”

“Nicht wirklich. Also als es mir wieder ein bisschen besser ging, habe ich angefangen, über Jan zu schreiben. Weil der Typ es einfach wert ist.”

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Jan Pischtscheks Frau las am liebsten Romane von Rosamunde Pilcher. Wenn sie den Tag bewältigt hatte, nahm sie eine Dusche, zog das Nachthemd an und kuschelte sich ins Bett. Sie hatte aufs Kopfkissen noch eine Nackenrolle gelegt, so war es perfekt. Das Buch hielt sie hoch. War zwar ein bisschen anstrengend, aber so hatte sie sich das eben angewöhnt. Wenn das Buch zu schwer wurde (und Pilcher wiegt schon einiges – zumal Irmina da nicht sparte und sich Rosamunde immer als Hardcover leistete), drehte sie sich zur Seite und schmökerte so weiter.

Selbst nach anstrengenden Tagen schaffte sie eine halbe Stunde. Doch meistens tauchte Irmina mit ihren Büchern eine Stunde oder länger in eine andere Welt ab. Wenn sie schließlich nicht mehr konnte, legte sie vorsichtig ein Lesezeichen aus der Heimat in die Lektüre, deponierte das Buch auf dem Nachttisch, löschte das Licht, strich dem leise schnorchelnden Jan über den Kopf und schlief schnell ein.

Was sie träumte, wusste sie am nächsten Morgen nicht. War wohl zu erschöpft, um sich auch das noch zu merken.

Normalerweise schlief Jan lange vor seiner Frau ein. Er las nicht viel. Die Tageszeitung, ein bisschen Fachliteratur, ab und zu ein Sachbuch. Jan sah in der Regel bis gegen zehn fern – dann machte er sich bettfertig. Das war’s.

Sie schliefen nicht mehr sehr oft miteinander. Das war aber kein Problem für sie.

Irmina war eine hübsche Frau. Nach dem zweiten Kind hatte sie es nie mehr geschafft, so schlank zu werden, wie es ihr gefallen hätte – doch Jan störte das nicht. Seine Frau hatte einen prächtigen Busen und ein einnehmendes warmes Wesen im Bett. Sie genoss ihn, und er genoss sie – das war doch genug.

Jan selber war fast mager. Man hätte ihn für einen Marathonläufer halten können, aber er trieb keinen Sport. Die Arbeit sog aus seinem Körper alles, was der bieten konnte. Jan war ein zäher Typ mit dichtem schwarzen Haar, vollen Lippen und intensiven dunklen Augen. Es gab eine Menge Frauen, die ihn wohlgefällig registrierten. Er war einer von denen, die wahrscheinlich im Bett wild und zärtlich zugleich waren.

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Unschuld der Heimat – lange her. FOTO: BARBARA VOLKMER

Aber Jan Pischtschek und seine Frau mochten es zärtlich. Wild war es vielleicht zu Beginn ihrer Beziehung gewesen, manchmal. Nun liebten sie sich fürsorglich und mit guten Gefühlen. Hauptsache, sie waren einander treu. Darüber brauchten sie nicht zu reden, für sie stand fest: Es gab nur sie Zwei füreinander.

Das mit dem Beischlaf war eben nicht mehr so wichtig. Sie taten es mit Lust, wenn sie einigermaßen ausgeruht und die Kinder versorgt waren. Sie ließen sich dann Zeit – und weil es eben nicht Tagesordnung war,  freuten sie sich jedes Mal neu am Körper des Anderen.

Wenn sie denn einmal miteinander schliefen, war es schön. Manchmal sehr schön.

Irmina war beunruhigt. Zehn Uhr durch – und Jan noch nicht zurück. Sie mochte es ohnehin nicht, wenn er diese Art Arbeit machte. Er erzählte nicht viel vom Treptower Park und den Bulgaren-Bussen. „Ich warte, ob mich einer nimmt. Ist schön, wenn es klappt. Und besser als gar kein Geld.”

Mehr bekam sie nicht aus ihm heraus. Sie wusste nur, dass das schlimme Arbeiten sein mussten. Nach solchen Tagen kam er heim – mit, wenn es gut gewesen war, 50 Euro in der Tasche – und hatte manchmal nicht einmal mehr Lust, sich zu duschen. Er schlang dann noch etwas  in sich hinein und verschwand im Schlafzimmer. Sie hörte ihn ächzen, wenn er die Hosen auszog.