VERLIER DU NUR!

sommer zwanzichfuffzehn II

Die Kasernenstimme des Mannes mit dem Megaphon weckte Hans Krohn. “Durchziehen, Mädels, is nich mehr weit. Jetzt nicht nachlassen. Marie, Du hast noch nicht Feierarabend. Komm, Marie, nicht das Weichei machen!”

Krohn öffnete die Augen halb und sah zum Wasser. Drei junge Frauen – hübsche Brüste – arbeiteten sich an den Paddeln ab. Der Trainer tuckerte im kleinen grünen Motorboot hinterher und kehrte den Offizier heraus.

Noch zwei Dutzend Schläge. Sie fuhren über die imaginäre Ziellinie, ließen die Paddel sinken. Die Gesichter der Frauen waren von der Anstrengung gerötet, die Sportlerinnen  japsten nach Luft. Sie drehten langsam um und glitten auf den langen Steg zu. Eine war rothaarig und erinnerte Krohn an Sex. Sie hievte ihr Boot aus dem Wasser, schulterte es und marschierte zum Schuppen. Sie lächelte, als sie den Mann auf seinem Schlafsack sah.

Krohn verkniff sich lächerliches Charmieren. In den Augen der Rothaarigen war er ein alter Mann.

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Lass’ Dich umarmen, Alter!

Es wurde wieder ruhig. Der nächtliche Regen hatte aufgehört. Weißblauer Himmel und die Ahnung eines weiteren heißen Tages. Krohn legte Käse auf eine Scheibe Brot, aß langsam. Er ging zum Wasser, putzte die Zähne, verstaute seine Sachen im Rucksack, knotete die Schnürsenkel fest, schulterte das Gepäck und ging los.

Das Alleinsein machte ihm zu schaffen. Krohn hielt nach einer halben Stunde an, zerrte das kleine Radio aus dem Rucksack, suchte nach dem Deutschlandfunk – dann ging er weiter.

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Einsam, Kumpel? Selber schuld!

Es passierte nicht viel in den Stunden. Die Füße waren das Gehen noch nicht gewohnt und schmerzten in den Gewölben. Eine gleißende Sonne verschleierte das Sehen. Ein schwarzer Hengst graste einsam auf einer riesigen Weide (später traf Krohn den Besitzer, der erzählte, dass der Hengst die Menschen liebte, aber mit den anderen Pferden sehr garstig war, deswegen hatte man ihn isoliert, lenbenslang mit Sicherungsverwahrung). In einem Unterstand ein blau bespannter Stuhl, gemacht für die Mittagspause. Die Markierungen für einen Halbmarathon. Das Verharren vor einem Stück Baumrinde.

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Darf’s noch ein bisschen mehr sein?

Mit der Zeit brachte Krohn eine erste Ruhe in sein Denken.

Die jungen Frauen hatten etwas Gequältes im Gesicht gehabt. Es war nicht nur die Anstrengung des Trainings gewesen – da war auch die Resignation von Menschen, die einem Traum hinterher hecheln, aber schon ahnen, dass er sich für sie nie erfüllen würde. Sie würden wohl nie Gold bei Olympia gewinnen, wahrscheinlich würden sie es nicht einmal zu Olympischen Spielen schaffen.

Hans Krohn hatte einmal eine Geschichte über einen Kanuten gemacht, der Gold bei Olympia gewonnen hatte. Der hieß Sebastian Brendel und sagte nach dem Sieg, er finde keine Worte, die seine Freude ausdrücken könnten. Er telefonierte mit seiner jungen Frau und weinte (ein Hüne, der heulte wie eine Schwulette). Danach erzählte er Krohn, wie toll das Leben sei.

Jeden Tag Training. Im Winter glaubst Du, die durchfrosteten Hände bleiben am Paddel kleben. Verzicht auf Biergarten und vor den Rennen Verzicht auf Ehebett. Ein greinendes Kind, das alle Pläne durcheinander bringt, weil der Papa nicht genug Schlaf bekommt und dann im Training aus dem Schiff kippt. Also Auszug aus der Wohnung, Verzicht auf Gestreichelt-Werden. Dafür Anschiss über Anschiss von einem Trainer, der nie genug bekommt.

Rückenschmerzen am Morgen. Regelmäßig wegen der Beschwerden beim Physio. Und diese Einsamkeit im Boot.

Schließlich aber Olympia.

Gold.

Am nächsten Tag ein Foto in der “Bild”.

Toll.

Zurück in Potsdam. Das Kind greint immer noch. Die Frau hat Wünsche. Der Trainer mahnt, dass Siegen wie Gift sei.

Es wird Winter, und wieder tun die Hände weh. Noch ein Winter. Jetzt die quälende Sommerhitze.

Aber nächstes Jahr ist wieder Olympia.

Dafür lohnt sich die Schinderei doch, oder?

Für diesen Traum quälen sich auch die jungen Frauen. Die Rothaarige könnte sich ein flottes Leben machen, aber täglich klemmt sie sich ins Boot und lässt sich von dem alten Mann von Trainer anschnauzen.

Sie war nicht so flott und beflügelt unterwegs gewesen, dass man von ihr eine Goldmedaille erwarten konnte. Sie würde wohl nie etwas Nennenswertes gewinnen. Sie war keine von den Wenigen, die eine große Welle machen.

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Ein Lob dem Müßig-Gang.

Krohn kannte das. Nur zu gut kannte er das. Er wurde immer überrundet. Krohn verbiss sich als Journalist in seine Aufträge und feilte bis zur Selbstzerfleischung an seinen Texten – aber es gab immer einen, dem die Geschichten geschmeidiger und spannender gerieten. Es gab immer einen, der die spannenderen Aufträge hatte und sich besser verkaufte.

Krohn war ein Verlierer. Er hatte das lange nicht akzeptieren wollen. Doch irgendwann hatte er aufgegeben, dagegen anzukämpfen.

Nun mochte er nicht mehr. Er würde sich durch den Sommer treiben lassen und zum ersten Mal seit vielen Jahren seine eigene Geschichte schreiben.

Er hatte den Glauben an seine Zukunft verloren – und das war die große Chance des Hans Krohn.

Er wusste es nur noch nicht an seinem zweiten Tag dieses sommers zwanzichfuffzehn.