LEINEN LOS

sommer zwanzichfuffzehn III

Übernachtung unter dem Vordach einer aufgelassenen LPG-Halle. Am nächsten Morgen erreichte Hans Krohn den Hafen von Deetz. Der Pächter sah ihn neugierig an.

“Der Josef hat hier ein Schlauchboot für Dich liegen. Schönes Teil. Ganz schön schnittig. Wohin willst Du eigentlich?”

An die Ostsee, sagte Krohn. Irgendwie.

“Naja, gehste über die Müritz und die Elbe. Schöne Fahrt. Machen viele.”

Nee. Nix Müritz. Krohn wollte an Berlin vorbei zur Oder, dann zum Stettiner Haff.

“Ach, echt? Weißte, wie Du fährst?”

Naja: Potsdam. Spandau. Bei Hennigsdorf in den Kanal. Durch die Schleusen. An der Oder links. Stettin. Das Haff. Die Ostsee. Konnte ja nicht so schwer sein.

Der Andere lächelte. Wenn Krohn meinte.

Hans ließ den Rucksack ins Boot gleiten, stieg hinunter, warf den Motor an. Der Hafen-Mann löste die Leine und schmiss das Ende zu Hans Krohn. Er solle es sich schön machen. Nach dem Hafen rechts halten. Aus dem ersten See in den zweiten, dann wisse er ja ohnehin den Weg. Gute Fahrt denn auch!

Rechts, in den nächsten See. Geradeaus durch einen Verbindungskanal. Es wurde alles ein wenig knifflig. Krohn stoppte immer wieder und navigierte. Geduldig arbeitete er sich zum großen Wasser bei Potsdam durch. Prima.

An der Glienicker Brücke nicht aufgepasst und über den Griebnitzssee geschippert. Die Protz-Villen beneidet. In den Teltowkanal eingebogen. Unter der Autobahn Berlin-München den Fehler erkannt, umgedreht, zurück an den Protz-Villen vorbei aufs große Wasser. Von ferne leuchtete Günther Jauchs kleines Logis, nach rechts weg an der Pfaueninsel vorbei, von dort leuchtete Didi Hallervordens Glatze, vorbei an der Liebermann-Villa, von dort leuchtete der Geist des Malers, endlich aufm Wannsee.

Der Tag ging zur Neige – also vor Spandau das Schiff an einem Steg vertäut, dann gab‘s Wurstbrot mit Sonnenuntergang und Mozart ausm Radio.

Und der Grunewald rauschte.

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Idyllisch ist’s bei Hennigsdorf.

Am nächsten Morgen Käsestulle mit Regenschauer. In Spandau an der Auto-Werkstatt den Kanister gefüllt (der irre Motor schluckte nur Super, den Diesel von der Schiffstanke mochte er nicht). Die Schleuse in Spandau ohne Probleme durchfahren. Danach hübsch flott in Richtung Ostsee gehavelt.

Krohn erreichte eine Verzweigung. Er entnahm den Schildern, dass es rechts zur Oder ging. Auf dem anderen Anzeiger stand: “Neuruppin”.

Krohn griff zum Handy. Er wählte Josefs Nummer. Bei dem musste er sich ohnehin bedanken: Josef, bekannt als “Papa Jupp”, einer der größten Edelbordell-Besitzer des Landes, hatte ihm das Schlauchboot geradezu aufgedrängt. Das war, weil er über eine Uralt-Reportage in “Lui” immer noch ganz begeistert war.

“Was, Du brauchst eine Auszeit? Mensch Hans, immer den Jupp fragen. Ich geb’ Dir mein kleines Schlauchboot, das liegt bei mir sowieso nur im Schuppen. Das nimmste, so lange Du willst. Und wenn Du genug Auszeit gehabt hast, bringst Du es mir wieder und schreibst mal was Schönes über meine Puffs.”

Das war ein Deal.

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Doch dann das Erkennen: Vergänglich ist jede Stahl-Idylle.

Papa Jupp meldete sich. Der klang immer so – als hätte man ihn gerade aus dem Bett geholt.

“Du, Jupp, danke für das Boot. Ist echt geil.”

“Hast Du es schon? Wo bist Du denn.”

Er habe, antwortete Krohn, gerade an Jupp gedacht, weil er im Kanal an ein Ortsschild gekommen sei, auf dem Neuruppin ausgeschildert sei. “Da bist Du mir eingefallen.”

“Klar, in Neuruppin habe ich was. Willste zum Vögeln fahren? Geht aufs Haus.”

“Nee, lass mal. Ich wollte nur Danke sagen. Ich mach’ dann mal weiter.”

“Wo pennst Du eigentlich?”

Schlafsack. Irgendwo. Da findet sich schon was.

“Du bist echt ein Vollpfosten. Heute übernachtest Du bei mir Ferienhaus. Fährst in Richtung Rheinsberg. Meine Klitsche ist in Altruppin. Ich schick Dir ein Foto aufs Handy, da siehst Du es schon vom Wasser aus. Ich habe da einen, der auf die Sachen aufpasst. Den rufe ich an. Er wird Dir im Gästehaus was herrichten. Dann machst Du erst mal Landgang. In ein paar Tagen wollte ich sowieso in den Laden in Neuruppin. Da sehen wir uns dann. Ziehen um die Häuser – Du wirst sehen, das ist geiler als Berlin. Ganz was Anderes. Ich freue mich. Mach hinne, Alter.”

Hans Krohn wickelte das Handy in der Plastiktüte ein (wegen Feuchtigkeit, verstehste?).

Er drehte den Gasgriff, der Motor grub die Schraube ins Wasser. Hans Krohn zog die Pinne zu sich heran und fuhr eine scharfe Kurve.

Nahm den linken Wasserweg. Richtung Ruppin.

10. juli 2015