HI, HELENE!

sommer zwanzichfuffzehn I – 9. juli

Hans Krohn war es Leid. Er hatte den Rucksack gepackt und die große Stadt verlassen. Es war heiß, als er über die Heerstraße nach Spandau taperte. Sehr heiß. Als er das Olympiastadion passierte, wunderte er sich über die vielen Menschen. Es war Fußballpause, keine Bundesliga, kein Sportereignis, was taten die Leute hier? Krohn fragte eine junge Frau, sie sah ihn strafend an. Ob er nicht wisse, dass heute Abend Helene Fischer auftreten werde?

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Ach ja, Helene Fischer, er hatte es gelesen. Krohn erinnerte sich, dass ein paar Tage zuvor jemand in der “Bülowkneipe” ein Lied von dieser Helene Fischer mehrfach hintereinander gedrückt hatte. Es hatte genervt:

“Auf der Suche nach mir, nach mir selbst
Bin ich weit gegangen
Hab‘ auf Scherben getanzt
Ohne Zweifel und Angst im Licht
Auf der Suche nach mir, tausendmal
Auf der Seele ein paar Schrammen
Doch ich weiß was ich will
Ich folg‘ meinem Gefühl nach vorn
Ich hab‘ mich selber nie verlor`n

Oh oh!”

Also, Frau Fischer würde abends im Olympiastadion singen. Sollte sie nur, dann wäre er schon seit Stunden raus aus der Stadt. Keine Kneipe, keine Schnulze, kein überflüssiger Mensch.

So hatte er sich das vorgestellt.

Um neun Uhr abends überquerte er die Glienicker Brücke. Er blieb kurz stehen und blickte übers Wasser, dann sah er zum Himmel. Die Wolken waren aufgequollen, sie hatten ungesunde schwefelfarbene Wülste. Im Westen zog eine schwarze Wand heran. Windstöße rissen Blätter von den Bäumen und trieben sie über den heißen Asphalt.

Krohn hatte kein gutes Gefühl. Er blickte sich um, entdeckte ein Wäldchen. Dort stellte er sich unter.

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Dann brach das Unwetter über das Land herein. Es entlaubte den Wald, häckselte armdicke Äste klein. Donner und Blitz im Stakkato. Waagrechter Regen, danach Hagelbeschuss. Hans Krohn, durchnässt in einer Brennnesselstaude stehend, machte sich Sorgen. Das fing ja wunderbar an mit der großen Freiheit. Der Schlafsack tropfte – überhaupt, würde er das Gepäck jemals wieder trocken bekommen?

Nach einer Viertelstunde war der Spuk zu Ende. Krohn stand in der nackten Lichtung und fühlte sich mutlos. Es roch nach Pilzen und Moos, ein ganz leiser Wind ging über die Felder, im Osten strahlte die von Blitzen heimgesuchte Stadt.

Nun gut, weiter.

Später nestelte Krohn das kleine Radio aus der Plastiktüte im Rucksack und hörte das Nachtprogramm, während er Potsdam durchquerte. In den Ein-Uhr-Nachrichten sagte einer, dass Helene Fischer von einem Unwetter überrascht worden sei und das Konzert frühzeitig hatte abbrechen müssen.

Das war dann doch tröstlich. Hans Krohn summte, er sei auf Scherben gegangen (oder so), und ließ sich noch eine Weile treiben. Gegen zwei machte er es sich vor dem Kanu-Leistungszentrum bequem. Er musste nicht mal in den Schlafsack schlüpfen, so warm war es.

Eigentlich war er ganz zufrieden. Wer konnte schon behaupten, dass er im Vergleich zur famosen Frau Fischer die Performance länger durchgehalten hatte?

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Das war also der erste Tag, an dem Hans Krohn in seinen ganz speziellen “sommer zwanzichfuffzehn” aufgebrochen war.

Hätte noch schlimmer kommen können.