VERGLÜHTER STERN

berlin, 30. mai 2015

Michael Bohnen, einer der großen Stars der “Roaring Twenties” in Berlin, ist ein Stehaufmann gewesen. Als Sänger der tiefen Töne fühlte er sich in drei Oktaven wohl. Als er an die großen Häuser in Europa, Argentinien oder den Vereinigten Staaten von Amerika gerufen wurde, brachte er im Gepäck 120 Rollen mit, die er beherrschte. Die Sache mit den Frauen – ja, das war sein Ding. Die Nazis konnte er nicht ausstehen, aber er wurschtelte sich so durch. Er war ein Star, einer, dem man nichts anhaben konnte. Der Mann bekam schließlich 1800 Reichsmark pro Abend – ein Wahnsinn war das! Bohnen lachte dröhnend, nahm das Geld und gab es aus. Man lebt schließlich nur einmal.

Frauen liebte er, gutes Essen und spaßvolles Trinken mochte er, er war gern der Mittelpunkt. Michael Bohnen konnte man immer mit Sportlichem ködern. Mal unterstützte er einen Berufsboxer, dann kickte er, bis die Bänder schmerzten. Er turnte und rannte und schwamm. Und natürlich ließ er, der begeisterte Billardspieler, es sich nicht nehmen, nach einem Turnier den Pokal (nackte Schöne aus Bronze) selbst zu überreichen:

„Diese Venus ist kopflos, diese Venus ist kalt,
Probier sie zu erringen, und ihr merkt es dann bald!
Der Wettstoß nach dieser Venus sei ,Ehrgeiz’ gar vieler.
Sie ist nun Triumphpreis für Dreibandspieler.
Und wer will den Besten mit diesem Sinnbild belohnen?
Der Dreibandsänger Michael Bohnen.“

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Ein “Ehrengrab” ist es nicht, weil das der Berliner Senat so bestimmt hat.

Wenn die Menschen an ihm etwas auszusetzen hatten, dann ließ Michael Bohnen ihnen den Spaß. Der Kritiker Herbert Ihering wagte im Januar 1926 ein leises Aufbegehren gegen den Mimen. Es ging um eine Verfilmung des “Rosenkavalier”:

“Michael Bohnen als Ochs? Bohnen braucht die Oper zur Entfaltung. Er erlebt Musik mimisch, körperhaft. Das ist sein Genie. Wenn er aber filmt und selbst einen Opernstoff filmt, steht er unter dem (falschen) Eindruck: ,Film‘. Film, wie er früher war: photographierte Spielastik, photographiertes Gesichterschneiden. Bohnen fehlt im Film das Element, das ihn schöpferisch macht, das ihn schöpferisch. Er greift zum Klischee anderer und macht dieses fast aufdringlich, weil er sich mit seiner ganzen überragenden Persönlichkeit in die – Konvention stürzt.“

Nun, sehr harsch ist der Kritikerpapst mit dem Weltstar ohnehin nicht ins Gericht gegangen. Aber auch die kleinen Spitzen waren Bohnen egal. Ein paar Tage nach der Besprechung trafen sich die Herren auf dem Boulevard, lüpften die Hüte und anschließend einen Glühwein. Man lebte schließ…

Nach dem Krieg wollten ihm die Alliierten Techtelmechtel mit den Nazis anhängen. Doch sie winkten schnell ab – da hatte es nun wirklich schlimmere Mitläufer gegeben.

Die Sache schien ausgestanden. Eine neue Zeit brach an. Bohnen war Intendant der Berliner Oper, er strotzte vor Ideen. Man würde aus allen Trümmern klettern, man würde den Menschen mit der Kunst Freude machen, man würde ganz neue Töne in Deutschland anschlagen dürfen, man würde…

Da trat der Wiener Tenor Hans Beirer, ein Schüler Bohnens, auf den Plan. Und das Leben des Göttergünstlings brach in Stücke. Im Februar 1946 denunzierte Beirer den Intendanten bei der Berliner Polizei und der britischen Militärbehörde: Bohnen sei ein übler Zuträger der Nazis gewesen. Die Ermittlungen wurden wieder aufgenommen, Bohnen im April 1947 als Intendant beurlaubt. Als Beirer am ersten September 1949 die Vorwürfe in einer eidessattlichen Erklärung zurück zieht, ist es zu spät.

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Sic transit gloria mundi, sagt der Lateiner. So schnell geht es, das Vergessen. Der Ruhm ist rum.

Bohnen Ruf ist ruiniert, der Mann ist ein Wrack. Er tritt nur noch ein paarmal auf. Das Geld ist weg, die meisten Freunde laufen von der Fahne. Bohnen heiratet noch einmal, doch die Leichtigkeit von früher kommt nicht zurück. Die Rente von der Oper Berlin ist miserabel. 1964 beschließen Verehrer der New York Metropolitan Opera eine monatliche Unterstützung für den Bariton, der in Berlin in Armut lebt.

Doch da ist es zu spät. Bohnen stirbt im Alter von 77 Jahren an Herzversagen. Er bekommt ein Ehrengrab.

2005 ist dann freilich Schluss mit dem Helden-Gedöns: Der Berliner Senat beschließt, Bohnens Grabstätte (Feld 18-B-9) nicht mehr als “Ehrengrab” zu führen. Der Mann war lange genug wichtig. Jetzt wächst Gras über ihn.