KÜSS MICH, LEBEN!

berlin, 29. mai 2015

Nehmen wir mal einige “Stars” aus der heutigen “Bild”: Kim Kardishian (halbnackt, macht auf Marilyn Monroe). “Kiss”-Bassist Gene Simons (sang gestern mit Schülern im Treptower Park Center). Tänzerin Sylvana Sedding (sehr nackt und schmutzig in “Die 120 Tage von Sodom” an der Volksbühne). Harald Glöökler (wird 50 und auch nicht mehr gescheit). Schönheits-Richterin Heidi Klum (wird immer bösartiger und verliert den Rest-Charme)…

Was für blasse Sternchen – im Vergleich zu der Erscheinung, die Michael Bohnen in Berlin einmal gewesen ist.

Aber Bohnen ist nun mal tot. Vor 50 Jahren trat er ab. Erschöpft. Ausgelaugt. Ernüchtert. Verbittert.

Und erschreckend schnell verliert sich die Erinnerung an einen Großen der Unterhaltungsbranche. Wer kennt ihn denn heute noch, den Sänger, Schauspieler, Intendanten, den Lebemann, den Weltstar vom Ku’damm?

Ein Baum von Mann ist er gewesen. Einsachtzig groß. Breit wie ein Schrank. Muskeln und kein Fett. Fußballspieler. Gewichtheber. Turner, Hansdampf. Weiberheld.

Der Typ hat lebendige Knaben am ausgestreckten Arm über die Bühne getragen, keine Miene verzogen und dabei auch noch gesungen, dass der Saal bebte. Er hat vorm fiebernden Publikum mit Stieren gerauft und eine Arie vom feinsten hingelegt.

Was für eine Stimme!

Voll und vibrierend. Jeder Ton ein Genuss, von den tiefsten Bassnoten bis zum hohen As des Bariton. Sein erster Biograph Hans Borgelt schwärmte, Bohnens Stimme sei “verführerisch, beunruhigend, das gesamte Nervensystem ansprechend; sie erstattete nicht einfach Bericht, sie war Ausdruck eines redaktio­nellen Kommentars.” Sein zweiter Biograph, Josef Kley, schreibt: „Er war Meister der Geste, der Bewe­gung und Mimik, Sänger und Schauspieler vereint in einer meisterhaften Persönlichkeit, die ihr Publikum faszi­niert im Bann hielt.“ Bohnen erklärte hinwiederum, das sei doch alles nichts Besonderes, er sei ein singender Schauspieler, nicht weniger und nicht mehr.

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Ach, wie verführisch…

Wie auch immer – wer Michael Bohnens Stimme hören will, muss sich auf eine geduldige Suche machen. Dann wird er auf den Berliner Bariton stoßen, wie er das Hohelied aufs kultivuierte Saufen darbietet:

Im kühlen Keller sitz ich hier
auf einem Faß voll Reben,
bin guten Muts und lasse mir
vom Allerbesten geben.
Der Küfer zieht den Heber vor,
gehorsam meinem Winke,
füllt mir das Glas, ich halt’s empor
und trinke, trinke, trinke.

Mich plagt ein Dämon, Durst genannt;
doch um ihn zu verscheuchen,
nehm’ ich mein Deckelglas zur Hand
und laß mir Rheinwein reichen.
Die ganze Welt erscheint mir nun
in rosenroter Schminke;
ich-könnte niemand Leides tun,
ich trinke, trinke, trinke.

Allein mein Durst vermehrt sich nur
bei jedem vollen Becher;
dies ist die leidige Natur
der ächten Rheinweinzecher!
Doch tröst’ ich mich, wenn ich zuletzt
vom Fass zu Boden sinke;
ich habe keine Pflicht verletzt:
denn ich trinke, trinke, trinke.

 Tja, das hat ihm gefallen. So etwas hat Michael Bohnen gern gesungen. Er hat in den Zwanzigern die Welt in rosaroter Schminke erlebt. Da war die Geschichte mit dieser La Jana.

Von ihr erzählt in “Heimweh nach dem Kurfürstendamm” der Feuilletonist PEM (bürgerlich Paul Marcus). Was haben sie da getratscht in der Hauptstadt, als der in Galanterie-Angelegenheiten äußerst umtriebige Bohnen und diese La Jana aufeinander trafen (sie soll ihn sogar durch Zungenküsse auf der Bühne aus dem Text gebracht haben)!

“Und dann kam Charells ,Casanova’. Da sang der von der Staatsoper beurlaubte Michael Bohnen, und wir sahen La Jana. Eigentlich hieß sie Henny Hiebel, stammte aus Frankfurt und war von Haller für seine Revue ,An und aus’ engagiert worden, in der sie über Nacht ein Star wurde. Sie gehörte nicht zu den Tänzerinnen der Weltklasse, aber sie hatte den schönsten Körper, den man sich denken kann. Die ganze Stadt sprach von ihr. Bei Charell wurde sie sehr entblößt auf einem silbernen Tablett in die Menge getragen, tanzte ein paar Schritte und wurde zur Sensation. Später griff der Film nach ihr. Bei einer Tournee während des Zweiten Weltkriegs holte sie sich in Riesa eine Lungenentzündung.

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…lebte es sich so in den Tag hinein.

,Schonen Sie sich! Setzen Sie aus!, sagte man.

,Ich denke nicht daran. Ich kenne meinen Körper. Ich weiß, was ich ihm zumuten kann.‘

Sie irrte sich und büßte es mit schnellem Erlöschen.”

Michael Bohnen aber lebte weiter. Er überlebte seinen Liebeskummer, er überlebte Hitler, er war nach ’45 ein Segen für die Oper in Berlin, er kam im Nachkriegs-Deutschland auf die Füße, er wurde Opfer einer Intrige, die ihm das Kreuz brach.

Dann musste er sein letztes Leben auf sich nehmen. Kein Glanz. Sorgen statt Geld. Der Kurfürstendamm wurde zum Boulevard der zerbrochenen Träume des Michael Bohnen.

Es war ein Elend. Es war einfach nicht fair.

Morgen: Glanz und Elend eines Großen