TRUE SHOW

sommer zwanzichfuffzehn XII

Er war eine gute Stunde unterwegs, als Hans Krohn in ein Unwetter geriet, das aus dem Nichts zu kommen schien. Der Regen rückte wie eine Wand aus Westen gegen ihn vor. Zum Teufel noch einmal, Krohn haderte heftig. Vor ein paar Tagen erst war er bei Berlin durch feindlichen Regen marschiert, nun schon wieder so ein Stress! Und das nach dem Abstecher auf den Hof des durchgeknallten Eugen Matuschke. Das war alles sehr anstrengend, wie eine Auszeit von der Großstadt fühlte es sich nicht an.

Aber es half ja nichts. Krohn sah nach, ob Notizbuch, Handy und Radio gut in der Plastiktüte verpackt waren. Er fluchte, schulterte den Rucksack und patschte durch die endlosen Pfützen in Richtung Neuruppin. Das würde sich noch hin ziehen. Naja, wenigstens wusch es den Dreck aus den Poren, den Krohn von Matuschke mitgenommen hatte.

xxx

Das schwere Wetter zog ungebremst weiter und erreichte den schlafenden Eugen Matuschke. Den weckten die ersten dicken Tropfen noch nicht, doch als dann die Wand über dem Hof stand, knurrte der Säufer, knipste die Augen auf und blickte auf die kleinen Explosionen von spritzendem Schlamm. Sturm rüttelte an Planen, am Haus klapperte ein Fensterladen.

Matuschke grabbelte nach der Wodkaflasche, die unter die Bank gekollert war. Sie war dreckverschmiert, aber zufrieden konstatierte der Bauer, dass es noch einen Rest-Trunk gab. Er leerte die Flasche, stemmte sich hoch und stand auf. Er stapfte durch den Matsch zur Stalltür. Stieß sie auf und mühte sich über die knarzende Stiege in den ersten Stock.

Im Erdgeschoss hatte die Familie früher gelebt. So mit Eltern-Schlafzimmer, Wohnküche, Abstellkammer, großem Flur, einem Raum für den Opa und mit einem Zimmer, das nur an Feiertagen aufgeschlossen wurde. Wie man das auch gehabt hatte in Ostpreussen.

Das Erdgeschoss hatte er schon lange nicht mehr betreten. Es war nach dem Tod des Vaters und der Mutter – sie starben kurz hintereinander im selben Jahr – schnell verwahrlost. Das Sanitäre war ausgefallen, und Matuschke hatte einen Raum nach dem anderen vollgemüllt. Mit grimmiger Disziplin hatte er Berge aus Essensresten und Dosen und Flaschen und Zeitungen gebaut. Zuerst in der Küche, dann in Opas Zimmer, im Schlafraum der Eltern. Und als er keinen Weg durch den Müll mehr gefunden hatte, war es an der Zeit, den verschlossenen Raum zu öffnen.

IMG_6117

Truman was here.

Er hatte großes Vergnügen gehabt, zu sehen, wie auch hier die Müllhalde bis zu den Knien wuchs.

Matuschke selbst, schon damals einer der reichsten Männer der Region, wohnte zu dieser Zeit in einem Zimmer im ersten Stock. Das hielt er leidlich sauber.

Ein neuer Wodka. Matuschke sah die Flasche an und lachte. Er wusste, dass er nicht tun durfte, was er tat. Das würde ein neuerlicher Höllenritt werden. Und seit die Eltern nicht mehr da waren, gab es niemanden mehr, der ihn aufhielt.

Er gab Acht, dass sein Geld immer mehr und mehr und mehr wurde. Nur wenn er sich auf den Ritt machte, sparte er nicht. Wodka vom Besten. Weiberfleisch. Er wollte es wild und  wütend. Und wenn es teuer wurde – was kümmerte ihn das?

Eugen Matuschke, der nun alles sehr klar zu sehen glaubte, schaltete den Fernsehapparat ein. Er, der Technikfreak, hatte ein kleines Modell aus den 1990ern im Zimmer. Die Farben waren ein wenig verrutscht, doch das war ihm egal. Er sah ja manchmal gar nicht hin.

Diesmal aber setzte er sich in den speckigen Ledersessel und guckte interessiert. Der Film hieß die “Truman Show”. Jim Carrey, ein Hauptdarsteller, der gar nichts von seiner Rolle weiß, dem die ganze Welt in seiner Lächerlichkeit zusieht, Tag für Tag, der ausbrechen will und an die Grenzen seiner Welt gerät, weil die Welt nur eine Bühne ist. Aus dieser Welt kommt niemand heraus. Oder?

Dieser lächerliche Jim Carrey! Diese schlimme Erkenntnis, dass man einen Affen aus ihm macht. Dieser Versuch, auszubrechen aus dem Hamsterrad!

Das Unwetter war verzogen. Eine sternenklare Nacht legte sich über den Hof des reichen Säufers.

Jim Carrey schaffte das Happy End im Fernsehen.

Doch das bekam Matuschke nicht mit. Er träumte in Psychedelisch-Blau von der heilen Welt, die überhaupt nicht heil war. Er träumte von dem Bein seines Vaters, das durch schweren Regen tanzte. Und er träumte von seinem Bruder, der ihn zusammen mit seiner Sippschaft entmündigen lassen wollte.

IMG_6119

Who the fuck is Truman?

Ja, von seinem Bruder träumte er, kurz bevor er aufwachte. Da stand die Sonne friedlich über dem reichen verwahrlosten Hof. Matuschke nahm den letzten Schluck aus der Pulle, zog eine kurze Hose an, stieg in die Galoschen und machte sich auf den Weg in den Ort. Dorthin, wo der Scheiß-Bruder lebte.