SCHILLERS WEIB

„2017”*, Folge 35, 22. Oktober. Wind und Regen in München.

 

In Nürnberg wacht Hans Krohn auf. Er braucht ein wenig, um sich klar zu werden, was mit ihm ist.

Hans Krohn sitzt im ICE nach München, es geht gegen Mitternacht, morgen würde er mit zerknautschtem Gesicht zu seinem Termin gehen müssen. Sehr berauscht ist er noch von der Totenfeier für Eddy, eine pappige Zunge hat er, im Großraum-Abteil gibt es außer ihm noch zwei schlafende Reisende, ihn plagt Durst auf Alkohol.

Den Laptop nimmt er mit, den Rucksack lässt er im Wagen. Er schwankt – da passiert der Zug gerade das Mühltal – in den Speisewagen. Freie Platzwahl, drei einsame Trinkende. Krohn setzt sich, bestellt Rotwein, trinkt schnell, der Zug verlässt Ingolstadt, gleich werden sie den Laden dicht machen. Krohn bestellt noch einen Wein, zahlt, atmet auf. Gut gemacht, fürs Erste.

München.

Schnell zum Wagen, den Rucksack schultern, auf den Perron, den Schwindel klein halten.

Das Hotel ist nicht weit, rechts raus, nochmal rechts, hundert Schritte, durch die automatische Tür in die helle Halle, der Nachtportier lächelt, wie man eben so lächelt, wenn ein betrunkener später Gast eintrudelt.

Gute Adresse hier. Personal mit besten Manieren. Krohn bekommt seinen seltsamen Schlüssel, er wird vom Aufzug in die siebte Etage gebracht. Findet das Zimmer, meistert das Aufsperren. Stellt den Rucksack nebens Kingsize-Bett, aus der Minibar organisiert er ein Bier. Krohn steht am Panoramafenster und sieht auf die bekannten Lichter der Stadt. Unten fahren die letzten Trams, es ist ruhig auf den Straßen.

Das Bier ist alle. Noch eins?

Hans Krohn trinkt nicht gerne aus der Minibar. Da fühlt er sich geneppt. Er schnappt sich Jacke und Schlüssel, fährt runter ins Foyer, tappt durch die automatische Tür auf die Bayerstraße. Er freut sich an der Luft. Es riecht nach Regen und fühlt sich kalt an.

Zum „Schiller“ sind es vier Minuten. Er tritt ein, die Musik ist wie immer zu laut, hinter dem Tresen steht wie immer die Negerin, die wie ein Mann aussieht, an der Bar sitzt der verkrachte Literat, der sich für einen Großen hält und alle mit seinen Boxer-Geschichten langweilt.

Mit dem Rücken zum Eintretenden hockt eine Frau an ihrem Getränk.

Schultern frei. Schöne Schultern, schmal und stark. Rote kurze Haare.

Trotzig ist sie, die Fremde.

Hans Krohn fragt, ob er sich neben sie setzen dürfe. Sie mustert ihn, scheint ihn nicht zu mögen. Nickt. Sie trinkt etwas in einem Cocktailglas. Krohn bestellt das Gleiche.

Sie ist keine Professionelle. Nur eine schöne Frau, die nicht schlafen kann. Sie nimmt ihn mit zu sich.

Wein und Knutschen. Wein und Vögeln. Erschöpfung. Vergessen.

Als Krohn aufwacht, ist es draußen hell. Sieben Uhr durch, der Termin ist um elf. Scheiße.

Krohn schlüpft aus dem Bett, die Frau schläft mit offenem Mund. Er zieht sich hastig an.

Im Hotel stehen die Menschen von der Frühschicht und sehen gutgelaunt in den frischen Morgen. Krohn sieht zu, dass er schnell den Aufzug erreicht.

Im Zimmer bestellt er Spiegeleier, Kaffee und O-Saft. Er frühstückt, der Magen ist verdammt flau. Hans Krohn geht ins Bad. Rasiert sich, duscht lange und heiß, frottiert sich, bis die Haut brennt. Er legt sich aufs Bett, tippt ins Handy ein, es möge ihn in einer Stunde wecken.

Schlafen kann Krohn jetzt nicht. Er versucht sich zu konzentrieren und nicht mehr über sich zu ärgern.

Jetzt saufen! Gerade jetzt!

Das ist ein wichtiger Termin, der wichtigste seit Jahren. Heute entscheidet sich, ob der alte Hans Krohn wirklich noch einmal durchstarten kann. Und was macht er?

Vögelt spaßfrei rum.

Wie blöd ist das denn!

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.