LETZTER GANG

„2017”*, Folge 34, 21. Oktober. Ein echt schöner Tag für letzte Gänge.

 

Horst ist gerade von der Beerdigung gekommen, er hat das für die gesamte Belegschaft übernommen. Sogar Anzug trägt er, Mann, das sieht echt schnieke aus. Ist ein feiner Zug vom Horst, sich so in Schale geworfen zu haben.

Nun hängt er in Eddys Stammkneipe das Sakko an einen Haken und macht es sich in Eddys Lieblingssessel bequem.

Horst darf das, er war schließlich aufm Friedhof.

Sonst keine Sau. Klar, die Enkelin stand beim Pfarrer, die Typen fürs Sarg-Runterlassen haben in die Luft gekuckt. Aber die Tochter war nicht da – und auch sonst niemand. Der Pfarrer hat die Rede schnell absolviert, die war echt Copy und Paste, sowas von lieblos. Die Mucke kam aus einer kratzenden Anlage und passte zum Eddy wie Arsch auf Eimer – ZZ Top und Elvis. Dann haben sie den Sarg runter gelassen, hat ein bisschen gerumpelt. Der Pope hat der Enkelin gratuliert, der Horst ist auch bei ihr vorbei getigert, sie hat ganz verheulte Augen gehabt, wenigstens Eine, die um den guten alten Eddy getrauert hat.

Dann war das Event vorbei.

„Mann hab‘ ich einen Durst“, sagt Horst. Ihm werden ein Klarer, für die Aufregung, und ein großes Bier, für den Durst gebracht.

Er zeigt, was er als Säufer drauf hat. Ex und hopp.

Immer noch Durst. Die Anderen haben auch einen ganz trockenen Hals.

Eddys Stammkneipe in der Hauptstraße in Schöneberg – da, wo David Bowie auch mal residiert hat – ist für einen Werktag rappelvoll.

Man erweist dem Verstorbenen die Ehre.

Die Schnapsdrosseln kichern, wenn Geschichten aus den Schwerenöter-Zeiten vorgetragen werden. Die Kerle wiehern, weil er so stramme Räusche nach Hause getragen hat. Und weil er so ein komischer Kauz gewesen ist, der im Büro seine Heimat hatte.

Alle diskutieren wieder und wieder den Sinn und den Unsinn des Selbstmords.

„Kann ick verstehn. Der hat doch nischt mehr jehabt vom Leben.“

„Aber aufhängen? Das geht doch gar nicht. Da hängste dann mit’m Steifen vonner Decke, und se finden Dir erst, wennde stinken tust.“

„Ach, das stimmt doch nicht dem Steifen. Is bloß Legende.“

„Klar stimmtet. Kannste überall lesen. Wenn die Nazis welche aufgehängt haben, dann war’t immer so.“

„Das hätte der Eddy auch so sagen können. Das mit den Nazis. Der Eddy hat echt Ahnung von sone Sachen gehabt.“

„War“, sagt der Horst, „war ‚‘n feiner Kerl der Eddy. Ich hab‘ ihn noch getroffen an dem Tag, als er sich dann alle gemacht hat. Da hat er noch politisiert.“

Ja, sie sind sich einig. Er war ein feiner Kerl, der Verstorbene. Der Nachmittag geht lau auf der Hauptstraße zu Neige. Hans Krohn sieht auf die Uhr seines Handys.

„Ich muss“, sagt er.

Was denn?, brüllen alle. Niemand muss heute. Heute ist Eddys Ehrentag. Heute wird gefeiert, bis morgen ist.

Neenee, Hans muss. Er hat am nächsten Tag einen Termin in München, der Zug ist fest gebucht. Sonderpreis und so. Schöne Feier denn auch.

Er fühlt sich benommen, als er auf der Straße steht. Seit Monaten hat er keinen Alkohol getrunken, jetzt ist er ziemlich angeknockt. Die Türken und die Verschleierten gehen ihm auf den Zeiger, der Verkehr ist ein Bedrohnis, die Stadt widert ihn an.

Auf dem Weg zum Südkreuz nüchtert er nicht aus. Er ist gut in der Zeit, leider hat der Bahnhof keine ordentliche Kneipe. Krohn besorgt sich zwei Dosen Starkbier, eine trinkt er am Gleis, während er wartet.

Steigt in den ICE, schlägt sich zu seinem Platz durch. Der Zug nimmt Fahrt auf, saust durch den Süden Berlins, rauscht am dämmrigen Teltow vorbei, jagt durchs abendliche Brandenburg. Krohn trinkt das zweite Bier, wird kontrolliert, denkt an Eddy, die arme Sau.

Er schläft ein.

Jetzt pennt er erst einmal. Bis Nürnberg.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.