HANS IM GLÜCK

„2017”*, Folge 36, 23. Oktober. Das schlechte Wetter hat ein Ende.

 

Im „Wolf“ ist die Küche noch geöffnet. Krohn zieht den Anorak – ganz neu, am Nachmittag beim „Sport Schuster“ gekauft, richtig teuer, aber man gönnt sich ja sonst nix – aus und legt ihn sorgfältig auf die Bank neben sich. Den Rucksack lehnt er an die Wand, nachdem er sein Notizbuch und einen Stift aus der Seitentasche gefingert hat. Er studiert die Speisekarte, ja, er hat mächtig Hunger, bestellt Kässpatzn und ein Weißbier – es ist schon wieder zuviel Alkohol  an diesem Tag, das muss sich ändern – und guckt in die Wirtsstube.

Zwei Tische weiter sitzen die Hunde-Verrückten. Die kommen hierher, weil sie lernen wollen, wie sie ihren Kötern das Parieren beibringen. Krohn grinst böse. Das kriegen diese Typen nie auf die Reihe. Die haben ja nicht mal sich selbst im Griff: die Vettel mit den roten Haaren. Der Toupet-Mann mit dem Holzfällerhemd. Der Macho-Darsteller mit Moustache und Pfeife, die er zwar nicht rauchen darf, aber demonstrativ auf den Tisch legt. Um das Trio herum lagern die Hunde. Etwas Mops-Artiges, kniehoch, das gehört zu Dame. Der Mann mit Toupet hat sich einen Dalmatiner angeschafft, der Pfeifen-Heini einen Rauhhaardackel. Die Herrschaften erzählen sich, was ihre „Lieblinge“ schon können und was noch auf dem Programm steht. Sie habe gehört, sagt die dicke Dame, dass der Hundecoach mit seinen Tieren die Europameisterschaft im Dogdance gewonnen hat, außerdem sei er wahnsinnig nett und verständnisvoll, deswegen sei das ein gut angelegtes Geld hier im „Wolf“.

Hans Krohn ist nicht mehr interessiert, er hört weg. Das Essen wird gebracht, ein zweites Bier auch. Es schmeckt – naja, was kann man an Kässpatzn schon vermurksen? -, Krohn fühlt sich schnell sauwohl und dehnt sich, nachdem die Bedienung abserviert hat.

Eigentlich sollte er sich nun anziehen und raus. Geplant ist ein Nachtmarsch durch die Ammergauer Alpen.

Aber Krohn hat keine Lust. Es ist gemütlich in der Stube, er möchte weiter trinken, er mag heute nicht mehr vor die Tür.

Ob man noch ein Zimmer für habe, fragt er.

Freilich gibt es noch etwas.

„Dann nehm‘ ich gern noch ein Weizen. Und einen Schnaps. Was habt’s denn, habt’s an Obstler?“

Freilich haben sie einen Obstler.

So ist dieser Abend auch gerettet. Krohn lächelt. Er ist ein Glückskind. Ja, so kann man das sagen. Normalerweise säße er jetzt im Zug nach Berlin und hätte es vermasselt. Nun aber steht ihm alles offen. Wieder eine Chance in seinem Leben, so eine unverhoffte Chance.

Gottseidank ist er gestern ramponiert zum Termin erschienen.

 

Der Verleger war ein trauriger Trinker. Er und Krohn erkannten einander beim Händeschütteln. Sie sahen sich an und erkannten den resignierten Säufer, der sich wehrt.

Der Verleger trank schon am Vormittag Whisky. Ob er auch einen wolle, fragte er seinen Besucher, die Assistentin des Verlegers zog die Brauen hoch.

Krohn wollte dankend ablehnen.

„Gerne. Aber Whisky?“

„Zu stark?“

Nein, sagte Krohn. Aber er habe mit Bier aufgehört.

„Guter Mann – man muss mit dem weiter machen, was man zuletzt getrunken hat. Sagen Sie, junger Freund, wollen wir uns nicht die Beine vertreten und dann auf Bairisch frühstücken. Ich kenne da was.“

Das höre sich gut an.

Sie begannen den Geschäftstermin im „Weißen Bräuhaus“. Kutteln mit Knödeln und Aventinus. Danach zogen sie weiter in Kneipen rund um den Viktualienmarkt. Bier, später Wodka.

Sie gingen sehr förmlich miteinander um. Besprachen Krohns Foto-Projekt. Der Verleger begeisterte sich, ließ sich auf dem Handy Arbeiten seines „jungen Freundes“ zeigen.

Toll.

Toll. Toll!

Krohn wusste, ehrlich gesagt, nicht mehr so recht, wie er es ins Hotel geschafft hatte.

Er wachte am anderen Morgen auf, und die Welt drehte sich. Er dachte, er hätte es mächtig verkackt und malte sich aus, wie er an einem Seil hing.

Das Telefon klingelte. Die Assistentin des Verlegers wollte wissen, wohin sie den Vertrag schicken sollte.

Ähh, wie bitte?

Nun, sie habe den Vertrag schon aufgesetzt. Vielleicht solle sie ihm den Text noch einmal aufs Handy schicken.

Gerne.

Zwei Minuten später las Hans Krohn, dass er sich um die nächsten Monate keine Sorgen machen müsse.

 

Was für ein Hans im Glück ich doch bin, denkt er und sieht freundlich zu den Hundefreunden. Die lächeln zurück. Ob er sich nicht zu ihnen setzen wolle?

Klar.

Und schon macht man es sich schön.

Sogar die Köter kann man sich an solchen Tagen nett saufen.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.