SABRINA

sommer zwanzichfuffzehn IXX

Ohne große Hoffnung schauten die Männer vom Arbeitsstrich in die Dunkelheit – vielleicht würden doch noch die Scheinwerfer des Rumänen-Autos auftauchen?

Aber sie wussten eigentlich, dass sie gelinkt worden waren. Hat man immer wieder, wenn man sich auf solche Jobs einlässt. Da klopft man den ganzen Tag Steine – und schaut am Ende in die Röhre.

Nach eineinhalb Stunden meinte der Größere der Maulfaulen, der den ganzen Tag keine zehn Wörter gesagt hatte: „Die ham uns verscheissert. Die kommen nicht mehr. Ich friere. Ich mach’ mich vom Acker.“

Er marschierte los. Über verschneite Felder in Richtung der leichten Helligkeit am Nachthimmel. Dort war Berlin, soviel war schon einmal klar.

Wortlos stapften die Anderen hinterher. Irgendwann war die Skyline der Hartz-IV-Hochhäuser auszumachen. Um neun querten sie den ehemaligen Mauerstreifen und waren zurück in Berlin. Auch auf den Bürgersteigen lag Schnee.

Jan, der nette Pole, sagte, früher habe er mal in der Nähe gewohnt. Die U-Bahn sei nicht mehr weit. Er übernahm die Führung.

„Lipschitzallee“ hieß die trostlose Station. Ein Kiosk, ein verwahrloster Platz, dunkle Geschäfte, ein dunkler Netto-Markt, ein Bierstübchen, aus dem gelbes Licht funzelte

Vier verschmutzte Männer setzten sich an einen freien Tisch und bestellten Bier und Schnaps. Jeder wusste vom Anderen, dass man das Geld eigentlich nicht hatte.

Sie bestellten die nächste Lage. Die zwei Wortkargen hörten zu, wie sich Jan und Hans Krohn zu unterhalten begannen. Wie sie sich  ausmalten, was sie mit den Rumänen anstellen würden. Wie sie – sie wurden rasch sehr besoffen – zu erzählen begannen, was sie auf den Strich verschlagen hatte.

Jan und Hans redeten immer mehr.

Noch vor Mitternacht war alles Geld alle. Zusammen gingen sie zur U-Bahn, zusammen fuhren sie mit der Rolltreppe zum Perron. Dort blieben die Maulfaulen schweigend beieinander. Der Pole und Krohn suchten sich verschiedene Bänke und warteten auf die U7 in die Stadt.

Man wollte nichts mehr miteinander zu tun haben.

 

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Sie trafen sich in einem Café am See.

Sabrina.

“Sabrina. Wie die Audrey Hepburn aus dem Film.”

Ja, genau. Sie gurrte. Freute sich, dass er den Film kannte. Warf das schwarze Haar zurück, als er sagte, sie habe etwas von der Film-Sabrina. So tiefe Augen und so.

Ja, er solle sich nicht lustig machen.

“Nein, ich meine das ernst. Wollen wir einen Wein trinken?”

Con piacere. Sie schob den leeren Kuchenteller zur Seite. Tiefbraune Augen. Hans Krohn verliebte sich gern in Augen.

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Sehnsuchtsorte in Fontane-Land.

Die Bedienung brachte Weißwein. Irgendwas von der Mosel. Sabrina kostete und sagte, das sei lecker. Sie sprach nicht gut Deutsch, aber was machte das schon? Sie deutete auf den See und erzählte, ihre Eltern kämen aus Sardinien, sie liebte das Meer, es fehle ihr hier in Brandenburg sehr. “Viel Wasser, das ist gut, aber kein Meer.”

Die Augen waren jetzt traurig. Er legte eine Hand auf ihren Arm. Sie ließ es zu, blickte ihn lange an.

Später gingen sie spazieren. Sie fragte ihn nach seinem Leben.

Hans Krohn begann zu erzählen.

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Hans Krohn sah nicht mehr klar. In seinem Wagen pennte noch jemand in der Ecke, ansonsten war er allein. Die Gedanken flackerten durcheinander.

Pleite. Wie lang waren wir da draußen? Von sechs bis sechs. Halber Tag. Kein Cent – und den Rest auch noch auf den Kopf gehauen. Wo soll ich morgen Kohle her nehmen?

Ach, scheiss’ drauf. Wenigstens blau.

Morgen hab’ ich Muskelkater, ich schwör’s.

Komischer Typ, der Jan. Hat was aufm Kasten und ist nett. Ob dem die Alte jetzt die Hölle heiß macht?

Kann mir egal sein. Eigentlich muss ich froh sein, dass ich keine Alte hab’.

Er schwankte, als er ausstieg. Fast hätte er sich lang gelegt. Blöder Slapstick. Ein paar junge Leute tranken in der warmen U-Bahn-Station ihr Bier und lachten sich scheckig über den Dreckspenner. Wenn sie nicht so faul gewesen wären, hätten sie jetzt ein paar nette Spielchen mit Krohn gespielt. Penner ärgern war ein schöner Spaß.

Aber sie hatten keinen rechten Bock. Stießen an und ließen Hans ziehen.

So fügte es sich, dass Hans Krohn, der alte Mann vom Arbeitsstrich, an diesem kalten Tag wenigstens heil nach Hause kam.

4. august 2015