NIETEN UND ASSE

sommer zwanzichfuffzen XVIII

Gegen eins war Gebäude 1 leer. Der Rumäne griff sich unter den Jeans-Stoff, kratzte ausgiebig in der Arschfalte und meinte:

„Gut, Mittag. Halbe Stunde Pause. Dann andere Haus.“

Sie setzten sich, mit dem Rücken zur Wand, auf Pappkartons und packten aus, was sie mitgebracht hatten. Krohn riss eine Aldi-Wurstpackung (Schinken, angeblich aus dem Schwarzwald) auf, holte das preiswerte Brot (volles Korn) und die Tüte Milch (Magerstufe) aus seinem Rucksack. Halt, noch den Senf (Düsseldorfer, angeblich) – er war schließlich Genießer.

Zwei Scheiben Schinken aufs Brot, den Senf mit dem Taschenmesser drauf gestrichen, eine Scheibe Brot drauf.

Das schmeckte immer.

Er trank und aß gierig. Eine halbe Stunde war so schnell vorbei.

Die beiden Maulfaulen hatten ihre Stullen schon zuhause geschmiert und packten bedächtig eine nach der anderen aus. Dazu tranken sie Bier (das Gute aus der Plastikflasche, die man beim Aldi recycelt).

Jan hatte Vorgekochtes dabei. Mit Genuss löffelte er eine Art kalten Eintopf aus der Tupperschüssel. Er trank sehr schnell die Wasserflasche (still, reine Quelle, eineinhalb Liter) leer. Danach gab es ein Stück Kuchen.

„Willst Du auch? Selbst gebacken, von meiner Frau“, fragte er und sah ziemlich froh und sehr nett aus.

Krohn lehnte ab. Eigentlich hätte er gerne auch so einen Kuchen gehabt – aber er wollte Jan nichts weg essen. Dessen Frau hatte mit Sicherheit nicht für einen Fremden gebacken.

Draußen lag der Schnee mittlerweile knöchelhoch. Es war sehr still. Von ganz ferne raunte die Stadt – ansonsten hörte man nur vier Männer, die kauten, schluckten und schwer schnauften.

Und die seufzend ihre Habseligkeiten in den Rucksäcken verstauten, als die halbe Stunde vorbei war.

Dann hörte man vier Männer, die sich ächzend erhoben. Alsdenn!

 

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In Gebäude 2 zerfiel die Einrichtung einer Schweinezucht. Die Männer mussten viel Metall – Gitter, Gatter, Roste, Stangen – entsorgen. Trotz der Kälte schwitzten alle. Die beiden Rumänen-Transporter fuhren den Hof im Akkord an. Kaum war einer beladen, stand auch schon der andere leer und fordernd da.

Schweigend schufteten die Männer. Jetzt hatte mit Sicherheit jeder das Denken eingestellt.

Krohn war ein sportlicher Typ. War Marathons gelaufen, liebte körperliche Herausforderungen.

Jetzt mochte er sich gerade gar nicht. Da die Handschuhe mittlerweile nass waren, hatte er klamme Finger, die beim Zupacken schmerzten. Vieles tat weh. Der Rücken, der Nacken, die Unterarme, die Knie.

 

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Er würde also nicht in die Stadt fahren. Hans Krohn schlenderte vom Bahnhof zum Marktplatz. Es roch nach Bratwurst – selbst an diesem heßen Sommertag roch es nach Bratwurst.

Krohn kaufte in der Buchhandlung einen Fontane-Gedichtband, setzte sich vor ein Café und begann zu lesen. Doch noch hatte er nicht die rechte Ruhe. Er trank aus und ging über den Markt.

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Mal sehen, wo das hin führt.

Fahrende Händlerinnen aus Italien. Mutter und Tochter. Die Tochter schnippisch und uninteressant. Die Mutter sinnlich, voller Lächeln, voller Fragen.

Was sie ihm raten würde.

Er solle den Hartkäse aus Sardinien nehmen. Da, er könne ein Stück probieren. Sie hielt ihm ein Holzstäbchen hin.

Gut, der Käse.

Ob der unbedingt sofort in den Kühlschrank müsse?

Nein, sagte sie. Der halte was aus, der Käse.

Was für ein Lächeln.

Er wolle ihn mit auf eine Wanderschaft nehmen, deswegen habe er gefragt.

Wanderschaft. “Wohin gehst Du?”

“Weiß nicht.”

“Hast Du Eile?”

Lächeln und Versprechen.

“Nein, ich habe viel Zeit.”

Sie habe gleich finito, eine Kollegin übernehme den Nachmittag.

“Darf ich Sie einladen. Vielleicht an den See.”

Gern sagte sie. Gern.

Hans Krohn hatte das Gefühl, jetzt könne sich das Blatt endlich mal drehen für ihn.

Wurde auch Zeit.

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Er beugte sich über ein Stück Müll, suchte nach dem besten Griff und richtete sich auf. Dann waren sie besonders intensiv, die Schmerzen. Er drehte sich in Richtung des Lasters und setzte sich in Bewegung. Kurz waren die Schritte geworden. Jetzt taten auch noch die Füße weh.

Das war ein Scheiß-Job hier. Selbst für den Arbeitsstrich war das eine Zumutung.

Nach sehr vielen kleinen Schrittchen erreichte Krohn den Laster. Verdammt, sie hatten schon wieder so hoch aufgeladen, dass er die Last bis in Gesichtshöhe würde hieven und dann auf das andere Gerümpel stoßen müssen.

Normalerweise wäre das eine Kleinigkeit gewesen. Doch jetzt musste er sich konzentrieren. Wenn er das jetzt versemmelte, würde dieses verschissene Stück Eisen ihm vor die Füße fallen, er musste es aufheben – und alles noch einmal von vorne.

Also hob und stemmte und schubste er mit aller Kraft, die noch da war.

Und jetzt tat alles besonders weh. Alles.

Danach war der Müll auf dem Müll – die Schmerzen klangen allmählich ab, während er zum Gebäude zurück schlurfte. Er stolperte durchs Tor, näherte sich einem Berg Schrott und hatte ein schlimmes klammes Gefühl. Gleich wären sie wieder da.

Die Schmerzen.

Gegen sechs begannen die Vier miteinander Sätze zu wechseln. Ihnen war nach Witzen zumute. Sie spürten, wie hart der Tag gewesen war – doch nun war er bald vorbei.

„Was glaubste? Noch zehn Touren jeder?“

„Nie. Gleich sind wir fertig.“

Ein voller Laster verließ den Hof.

Dann kam kein Laster mehr.

Sie stellten sich in dem leer geräumten Gebäude 2 unter und warteten.