RETOUR

„2017”*, Folge 42, 29. Oktober. Und nochmal Indianer-Sommer.

 

Ihm ist echt übel. Vielleicht sollte Krohn einfach in die Latschen kotzen, dann wäre er das miese Gefühl los.

Vielleicht auch nicht. Lieber reihert er nicht. Er würgt seinen Magen den Schlund hinunter. Aufstehen mag er nicht, wartet, bis die Knie nicht mehr so wacklig sind.

Hans Krohn sieht auf den Ziegelstein, von dem er das Moos abgekratzt hat. Es ist, als hätten sie die Höhle erst gestern zugemauert.

 

Im Herbst, nachdem der Martl verschwunden war, stiegen Wanderer auf den Teufelstättkopf und entschieden sich für den kaum begangenen Jägersteig als Rückweg. Sie waren noch in Gipfelnähe, als sie den Gestank bemerkten. Sie stießen auf eine Felswand, in der eine Öffnung notdürftig mit Quadersteinen abgedichtet war.

Es waren neugierige Bergsteiger. Und gut ausgerüstet obendrein. Sie pickelten mit dem Felshammer die Granitsteine locker, entfernten sie, leuchteten mit der Stirnlampe in die Höhle.

Einer musste kotzen.

Drin krümmte sich eine Leiche in den hintersten Winkel der Nische. Daneben rottete ein Rucksack vor sich, daneben lag eine Flinte mit kurzem Lauf.

Es gab noch keine Handys. Einer der Alpinisten – nicht der, der gekotzt hatte – hastete zur Hütte und rief die Bergwacht. Die Anderen setzten sich neben den Weg. Die Höhle dünstete in zehn Metern Entfernung aus.

So war es, als der Martl gefunden wurde.

In der Woche drauf – die Leiche war geborgen worden, der Fundort untersucht, die Autopsie hatte Klarheit gebracht – schufteten Hans Krohn und die Bergwacht-Spezl, um den Eingang auf Dauer zu verschließen. Niemand sollte mehr daran erinnert werden.

Abends erzählten sie sich auf der Hütte, was der Martl für ein wilder Hund gewesen war und wie er sich ins Maul geschossen hatte.

Krohn hielt das nicht aus. Er trank den Schnaps auf der Terrasse.

Dabei regnete es in Strömen. Und kalt war’s auch.

 

Er flieht vom Berg. Hastet den Jägersteig entlang, bis der in einen Wanderweg mündet. Hans Krohn beginnt zu joggen. Er erreicht die Forststraße. Nun rennt er. Der Rucksack wippt unangenehm, doch Krohn will nur noch ins Tal. Noch ein paar Serpentinen, noch das Viehgatter. Der Parkplatz für die Bergwanderer. Rechts die Talstation der Skilifte.

Krohn hört auf zu rennen. Verschwitzt schlappt er am Friedhof vorbei.

Da ist sie wieder, die Übelkeit.

Soll er rein gehen, soll er den Eltern die Aufwartung machen?

Nein, er war ja auch nicht bei der Beerdigung.

Zehn Stunden später sitzt er in der Wirtschaft. Nebenan hocken ein paar Männer am Stammtisch. Krohn bestellt einen Kaffee, die Wirtin nimmt es unwillig zur Kenntnis.

Hans Krohn ist immer noch wie betäubt. Erst langsam findet er sich zurecht. Die Leute von nebenan kennt er bis auf einen Jungen. Sind alle in seinem Alter. Und der am Tischende, unter den vergilbten Fotos aus den 1970er – das ist doch der Max.

Klar ist das der Max.

Er sieht herüber, fragt durch den Raum:

„Hanse?“

Ja, sagt der Hanse, ich bin’s.

„Wos hockst denn do drent? Sitz her zu uns. Kennt’s ihn? Des is der Hanse. Mei, wia lang bist Du scho weg? Bist in Berlin, ha? Wia gfoits Dir bei de Preißn?“

Hans Krohn siedelt um, die Anderen machen neugierig Platz. Den Kaffee rührt Hans nicht an, er bestellt lieber gleich eine Halbe.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.