AM STAMMTISCH

„2017”*, Folge 43, 30. Oktober. Deutschland arbeitet nicht an diesem Montag – schuld ist Luther. Brückentag. Morgen mehr.

 

Der Max, der dicke dumme Max, hockt unterm Foto mit Krohns Vater. Das ist sepia-stichig und beschriftet mit „Die Bärtigen“. Das war sehr lustig damals – zumindest die Akteure fanden es witzig. Sie haben sich allesamt Vollbärte wachsen lassen und dann vor der Wirtschaft posiert wie auf einem Mannschaftsbild.

Die Bärtigen sind jetzt tot, allesamt; da hat der Krebs gewütet, die Herzen haben nicht mehr mitgetan, bei Einem hat sich die Leber verabschiedet. Dement sind auch welche geworden.

Das waren die natürlichen Todesursachen für eine Bande von Saufbolden.

Nun sitzt der Max unterm Foto und wird den Bärtigen in Bälde in die Jagdgründe folgen. Er hat ein rundes, rotes, gedunsenes Gesicht. Sein Leib quillt aus den Kleidern. Den Tirolerhut mit dem zerzausten Gamsbart setzt er in der Wirtschaft nicht ab. Ab und zu schnupft er eine Prise und säubert die Nase nicht besonders sorgfältig.

Der Max ist der jüngere Bruder vom Martl gewesen. Es gab da noch Franz, den Ältesten, der den Hof übernommen hat. Der duldete die Brüder in den Gesindezimmern – so musste er ihnen kein Erbe auszahlen – und behandelte sie schlecht.

Martl hat seine Familie wegen der Tumbheit und der Geldgier gehasst; der Max lacht gutmütig, wenn jemand stichelt, er sei eine arme Sau, weil er vom Franz wie das mindeste Vieh behandelt wird.

Max ist nicht besonders gescheit. Bis vor Kurzem hat ihn morgens der Bus von der Werkstatt für Behinderte geholt und abends wieder abgeliefert. Er hat Brotzeitbretter durch die Hobelmaschine gelassen, manchmal baute er Vogelhäuserl oder er nagelte Blumenkästen zusammen. Grünes Fichtenholz, 40, 60 und 80 Zentimeter. Bodenbrett, zwei lange für die Seiten, kurze an den Stirnenden, zehn Nägel. Fertig.

Blumenkästen. Vogelhäuserl. Brotzeitbrettl. Um halb zehn war Frühstückspause, Mittagessen gab’s um zwölf, bis halb zwei hatten sie Pause. Um vier fuhr der Bus den Max heim. Ein Berufsleben lang.

Jetzt erzählt er gern und wichtig, er sei Rentner. Vom Bruder bekommt er jeden Tag ein Geld für vier Halbe. Das reicht für einen Nachmittag und eine Wohligkeit im Leben.

Wenn Leute wie der Hans Krohn aufkreuzen, ist das ein Fest. Die geben immer ein paar Halbe aus. Das macht einen Fetzen-Rausch. Da stört es den Max auch nicht, wenn die Schwägerin keift.

„Du warscht doch der beschte Freind vom Martl“, brummelt der Max.

Krohn nickt.

Das ist das Signal für alle. Der hat sich doch ins Maul geschossen, der Martl. Das hat man gar nicht kommen sehen. Ob der Hanse wisse, warum sein Spezi sich partout hat umbringen müssen?

Krohn schüttelt den Kopf.

Und was für eine Müh‘ sich der Martl gemacht habe. Naja, er hat’s halt übertrieben. Alles. Mit den Motorrädern und den Sportautos. Mit dem Saufen und Feiern. Mit den Weibern.

Oder?

„Wennst meinst“, sagt Hans Krohn.

Der Max hockt unterm Foto, trinkt einen Schluck vom Freibier, schaut den Hanse an, der bestellt noch eine Halbe für den Bruder seines ehmals besten Freundes, das Bier findet sich ein, der Max säuft es fast auf ex.

Er setzt ab, rülpst verhalten.

„Woaßt wos?“, murmelt er.

„Wos?“

„I hobs oiwei no, des Schachterl.“

Von was für einer Schachtel er rede. Der Max stiert in sein Bier und erzählt. Als der Martl nicht mehr nach Hause kam, hat die Schwägerin all seine Sachen ins Max‘ Zimmer schaffen lassen. Als er dann tot in der Höhle gefunden wurde, hat sie sich dermaßen über die Begräbniskosten aufgeregt, dass sie Martls Zeug ganz vergessen hat.

In der Folgezeit hat Max die Kleidung aufgetragen. War ihm eine Ehre – und es waren tolle Teile, gekauft für die Disco, nicht für die Behindertenwerkstatt.

Und dann war noch die Kiste mit den Papieren.

„I konn’s ja net lesen.“

Was er nicht lesen könne, fragt Hans Krohn den betrunkenen Max.

Na, die ganzen Zettel und die Bücherl, die der Martl voll geschrieben habe.

„Wie meinst das? Voll geschrieben.“

„Wenn der bsuffn war, hot er oiwei gschriebn. Nachad is er am Tisch eigschlafn – und i hab’n weckn miassn, dass er in sei Fabrik kimmt. Nachad hob i des gseng, de Biachi und de Zettel. Er hot’s schnell verrammt – aba i hob’s gwusst.“

Hans Krohn würde die Papiere gerne sehen. Das geht in Ordnung, sagt der Max. Der Hans soll am nächsten Tag kommen, dann sucht man das Zeug. Er kann es ruhig mitnehmen. Braucht ohnehin niemand – der Martl schon gar nicht.

Hans Krohn lässt sich ein Zimmer im Gasthof geben, in dem er später seinen Rausch ausschlafen kann.

 

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.