DIE SCHWARZE

„D 2017“*, Folge 41. 28. Oktober. Eintönig, endlos, unerfreulich – Herbst.

 

Der Abend war nicht spektakulär, und doch hat er sich eingefräst in Hans Krohns Erinnerung.

 

Martl und er kamen an diesem Samstag vom Klettern zurück. Sie waren von der Sonne ausgedörrt und hatten schrundige Finger. Die Terrasse vor der Berghütte war gut besucht, die meisten der Menschen dort würden auf der Hütte übernachten.

Was den Martl und den Hanse nicht weiter störte. Sie logierten nicht in den Schlafräumen sondern in der Werkstatt, wo ihre Matten ausgerollt waren. Das war billiger und angenehmer – und so konnten sie auch nach der Sperrstunde so lange wach bleiben, wie sie wollten. Sie mussten nicht auf andere Bergsteiger achten, waren ihre eigenen Herren.

Hans und Martl brachten die Klettersachen zu den Schlafsäcken, zogen sich frische T-Shirts an und enterten die Terrasse.

Es war der Monat der langen Abende. Die Wände der Kreuzspitzgruppe auf der anderen Talseite standen noch in der letzten Sonne, als die Bergsteiger auf der Pürschlinghütte das Nachtmahl hinter sich hatten und eine satte Ruhe über die Menschen kam. Die Gespräche wurden leise und ohne Hast geführt. Manchmal schwiegen die Leute auch nur und fanden es richtig so.

Martl und Hans Krohn hatten die Hauswand im Rücken und sahen den Frauen zu. Eine Gruppe aus Düsseldorf hatte einen Tisch belegt und ließ es sich gut gehen. Junge Frauen waren es – und wenn sie lachten, hörte es sich gut an.

„Do gangat wos“, sagte der Martl. Er sprach gern recht derb-bairisch, wenn er nicht von jedermann verstanden werden wollte.

Da ginge etwas, da könnte man sich durchaus Chancen ausrechnen als Mann.

„Ja, do gangat wos“, wiederholte der Hanse. „Mogst wettn?“

Nein, meinte der Martl. Man habe es so gemütlich, mit einer Wette würde der Abend nur recht anstrengend werden. Er habe keinen sportlichen Ehrgeiz, er wolle in Ruhe seine Gaudi haben, da würden die Frauen nur stören, wenn eine her ginge, später am Abend, ja, dann würde er nicht Nein sagen, aber sich jetzt partout um einen Aufriss anstrengen – nein, bitte nicht.

„Hast Recht“, sagte Krohn.

Prost.

Sie redeten nicht viel. Sahen es grau werden in den Bergen, am Himmel gingen die Sterne auf, der Mond stand kurz vor der Rundung. Sie brauchten auch gegen Mitternacht keinen Pullover und freuten sich, dass es leer geworden war auf der Terrasse.

Nur die Damen feierten noch, zumindest der harte Kern machte keine Anstalten, ins Bettenlager zu wechseln.

Die Eine mit den schwarzen Haaren, sagte der Martl, „das ist eine Hex‘. Eine ganz Rassige ist das. Die vögelt Dir ‘s Hirn ausm Schädel.“

Krohn – auch er schon recht hinüber – erwärmte sich mehr für eine kurzhaarige Brünette. Mit der Schwarzen konnte er nicht so viel anfangen.

 

Wie auch immer – man fand sich zusammen, Düsseldorf und die Einheimischen. Die Burschen ließen die Muskeln ein bisschen hüpfen, und die Madl kicherten beifällig. Die Buben erzählten von Überhängen und Lebensgefahr, sie berichteten von schmerzenden Armen und blutenden Fingern – die Madl sagten „lass mal sehen“ und hängten sich bei den Burschen ein. Der Martl flüsterte der Schwarzen etwas ins Ohr, sie nickte – und weg waren sie in der Nacht.

„Was soll das werden?“, fragte eine der Sitzen-Gebliebenen.

Der Martl zeige ihrer Freundin das Sternenzelt, erklärte Hans Krohn. Die Frau aus Düsseldorf schürzte die Lippen und glaubte kein Wort.

„Sternenzelt. Mir kannste viel erzählen.“

Aber, bitteschön, sollten die Beiden doch Astronomie betreiben. Auf der Terrasse würde man deswegen nicht versauern. Der Wirt hatte gesagt, man solle das Verkonsumierte aufschreiben, das ließ man sich nicht zweimal sagen.

Die nächste Runde, bitte.

Prost.

 

Am nächsten Morgen wachte Hans Krohn allein in der Werkstatt auf. Keine Spur vom Martl. Den ganzen Tag sah man ihn nicht. Der Wirt meinte, der Martl sei mit der Schwarzhaarigen ins Tal.

Abends trudelten die anderen Düsseldorferinnen und ihr neuer Bergführer Hans Krohn im Dorf ein. Sie ließen den Ausflug in der „Sonne“ ausklingen. Dort hieß es, der Martl und seine resche Begleitung seien wohl noch ins „Maxim“ gefahren. Mit dem Taxi, nicht mit der Karre vom Martl.

Das war seltsam.

 

Am Montag drauf reisten die Düsseldorferinnen ab, ohne dass Hans noch einmal mit ihnen geredet hatte.

Abends ging er in die Wirtschaft. Alle da. Der Martl fehlte.

Am Dienstag war Training. Kein Martl. Bei seinem Bruder, der den elterlichen Hof übernommen hatte, wusste man nichts über den Martl – aber das war nicht bemerkenswert, der Martl ging ihnen am Arsch vorbei.

Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag.

Nicht da.

Am Sonntag fehlte Martl auch beim Heimspiel. Man begann, sich Geschichten auszudenken.

Keine machte Sinn.

Außer einer:

Er war wohl mit den Düsseldorferinnen gefahren. Das Dorf war ohnehin seine Heimat nicht. Also hatte er sich aus dem Staub gemacht.

Sei’s drum. Ein Verlust war er eh nicht. Jemand rückte als rechter Verteidiger nach. Die Weiber-Wette legte Hans Krohn auf Eis. Er musste jetzt allein ins „Maxim“ und dort Rabatz machen.

Einfach war das nicht.

 

*“D2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.