PARSHIP ’84

„2017”*, Folge 22, 9. Oktober. Heller Himmel. Auf Parship steht: „Ich wünsche mir einen Partner,.der mit mir in die gleiche Richtung und in einer ähnlichen Geschwindigkeit wächst, mit dem ich den Rest unseres Lebens eine gute und glückliche Beziehung führe, mit dem ich gemeinsam gesund alt werden kann und den ich nicht lange überlebe.“

 

„Darf ich Sie was fragen?“

Die Dame blickt Eddy nachdenklich an. Ja, er solle fragen, meint sie nach einer Pause.

„Sind Sie aus Leipzig?“

Sie lächelt. Nein, natürlich nicht.

„War eine dumme Frage, oder?“

„Naja, Sie sind aus dem Westen, stimmt’s?“

„Ja, woran merkt man das?“

„Nicht nur an der Frage. Sie sind aus dem Westen, das spürt man sofort. Und Frauen aus Leipzig werden sie hier nicht treffen. Außer…“

Sie redet nicht zu Ende. Eddy überlegt, dann begreift er. Ach, das tut ihm Leid, das hat er wirklich nicht bedacht.

Die Dame lächelt. Nicht so schlimm, sagt sie. „Wir sind im Interhotel, da gehen die Einheimischen nicht hin. Und die Damen…“

Jaja, er hat verstanden.

„Aber?“, sagt er und ist schon wieder sprachlos.

„Sie wollen wissen, ob ich aus der Deutschen Demokratischen Republik komme. Und wenn ja, was ich dann hier tue.“

Eddy weiß nicht so recht, was er sagen soll. Er streicht mit dem Zeigefinger über den Rand des Bierglases (Pilsner Urquell, perfekt gezapft). Durchs Panoramafenster flirren die Lichter Leipzigs, es ist wie der Blick über einen See zur großen Stadt am anderen Ufer.

Er lächelt ein wenig.

„Was soll ich sagen? Ertappt. Entschuldigung. Ich kenne mich hier nicht aus. Das war doof.“

„Ich heiße Mandy. Ich bin zum Arbeiten hier. Dolmetsche auf der Messe. Normalerweise wohne ich in Berlin.“

„Ach was? Ist ja interessant. Ich lebe auch in Berlin. Entschuldigung, Eddy heiße ich. Bin auch auf der Messe.“

„Haben Sie einen Stand?“

Nein, erklärt Eddy, er sehe sich um. Sein Partner und er wollen expandieren. Als Spedition hätten sie angefangen, nun seien sie ein Logistikunternehmen, das in Europa unterwegs sei. Und der Osten werde immer interessanter. Man spüre, dass sich da was bewegt. Welche Sprachen sie denn übersetze?

Englisch, Französisch, Russisch. Ja, es bewege sich was.

„Wo wohnen Sie denn in Berlin?“

Er Schöneberg, sie Lichtenberg. Er bestellt einen Wein für sie und noch ein Bier für sich. Sie reden bis um zwei Uhr. Er bringt sie vors Hotelzimmer, sie verabreden sich zum Essen am nächsten Abend. Nicht im Hotel, in der Stadt, sie wird etwas organisieren.

„Aber ich zahle.“

Klar, sie hat nichts dagegen.

 

Sie essen in „Auerbachs Keller“. Kein Schimmer, wie sie noch einen Tisch hat reservieren können. Er fühlt sich wie ein junger Kerl. Es regnet, als sie zum Hotel zurück gehen. Die Häuser sind hoch und dunkel und unfreundlich. In einem Eingang nahe dem Bahnhof küssen sie sich.

Getrennt betreten sie das Hotel. Er geht voraus, sie folgt und schlüpft aus dem menschenleeren Korridor in sein Zimmer.

 

Als er am letzten Messetag im Flieger nach Frankfurt sitzt, ist er der traurigste und der glücklichste Mensch.

So ‘ne Scheiße aber auch!

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.