AUFSCHWUNG OST

„2017”*, Folge 21, 8. Oktober. Hurrah, sie dreht sich noch. Der Autor David Meade hat für Oktober 2017 die Kollision der Erde mit dem Planeten Nibiru voraus. Der auch als Planet X bekannte Himmelskörper nähere sich demnach mit einer gewaltigen Geschwindigkeit unserem Südpol Und? Naja, bislang ist der Crash ausgeblieben. Schaut gut aus für uns.

 

Edmund Leutner aus Hessen, in Berlin nur als „Eddy“ bekannt, betrachtet sich im Spiegel und ist ganz zufrieden. Er dreht sich seitlich, zieht den Bauch ein und zeigt sich den angespannten Bizeps.

Das ist doch schwer okay für einen, der an diesem Morgen 43 wird.

 

Seit drei Jahren trainiert Eddy im Fitnessstudio hinterm Schloss Charlottenburg. Zweimal in der Woche arbeitet er sich an Gewichten ab, einmal geht er zum Boxen. Manchmal, wenn er sich gut fühlt oder wenn ihm alles auf die Nerven geht, verabredet er sich zum Sparren. Stört ihn nicht, wenn er sich eine einfängt. Nach dem Kämpfen fühlt er sich frisch und befreit. Schmerzen tun gut. Es ist auch schön, wenn die Muskeln brennen, weil Eddy die ganz großen Scheiben an die Hantel steckt. Er braucht das – dann weiß er, dass er am Leben ist.

Nach dem Training duscht Eddy, trinkt eine Cola in der Kneipe neben dem Studio, dann fährt er mit dem Bus zurück nach Schöneberg.

Er bringt Viola ins Bett, sie sprechen über den nächsten Schultag, er liest etwas vor, löscht das Licht, die Tür zu ihrem Zimmer bleibt angelehnt.

Eddy kocht in der Küche Tee, setzt sich an den Tisch und liest sorgsam die Zeitung. Die Schlagermusik aus dem Radio legt sich über die Geräusche aus dem Wohnzimmer: Dort ist der Fernseher zu laut und auch die Stimme der Frau. Sie klingt zornig und jammernd, die Wörter sind um diese Tageszeit undeutlich.

Später – das Telefonieren hat aufgehört – geht Eddy leise zum Bad, schlüpft kurz ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher aus. Die Frau schläft, der Kopf hängt nach hinten, der Mund ist weit geöffnet. Eddy macht sich bettfertig, liest noch ein wenig, schläft bald ein.

Irgendwann muss die Frau pissen und kommt auch in Bett. Das juckt Eddy nicht, er dreht ihr den Rücken zu. Am nächsten Morgen frühstückt er mit Viola und bringt die Tochter ins Bett.

Die Frau wird irgendwann aufwachen.

Irgendwann wacht sie immer auf.

 

Jetzt hat er erst einmal drei Tage frei von Berlin. Viola darf bei Charlys Familie übernachten. Eddy ist von Frankfurt nach Leipzig geflogen, zum ersten Mal gibt es einen Luft-Shuttle zur Messe. Er hat den bayerischen Politiker Strauß im DDR-TV gesehen, wie er mit Honecker und anderen Knallköppen einen Schnaps trank. Er hat ein Steak im Interhotel gegessen, einen Spaziergang in der Stadt gemacht, in einer Bierstube etwas getrunken und sogar eine Frau angelächelt. Dabei war er sich recht mutig vorgekommen.

Nun blickt er aus dem Fenster in den Märzmorgen – es ist grau und diesig – und denkt, dass es trotzdem ein wundervoller Tag sei.

Niemand will was von ihm. Er soll sich treiben lassen und neue Geschäftsideen von der Messe mitbringen. Kreativität braucht Freiheit, sagt Charly.

Also ist Eddy so frei und macht Urlaub in der DDR. Ihm geht’s echt großartig.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.