NO FUTURE

12. februar 2017, petersburg west virginia, 14 grad, heiter/lindow, 1 grad heiter      —–     winter 16/17, Folge 34

 

„Wir werden unser Land vereinigen“, hat der neue Präsident gesagt – und in Petersburg/West Virginia haben die Menschen unisono „Hurra“ gerufen.

Das hat Donald Trump gut gemacht: Er hat den Frauen und Männern an South Branch Potomac River aus der Seele gesprochen. Sie wollen, dass sie endlich wer sind. Waren lang genug die Vorzeige-Amerikaner – aber kein Schwein hat sich gekümmert.

Knapp drei Stunden westlich von der Hauptstadt – wir wechseln nicht mal die Zeitzone – gibt es seit Generationen keinen Ausweg aus diesem verdammten Petersburg. Hier wirste geboren – und wenn Du nicht aufpasst, schluckt Dich das Gemeinwesen.

Dann bist Du einer von 3000 Petersburgern der sein geregelt‘ Leben von der Wiege bis zur Bahre ableistet.

Petersburg ist ein Modell-Städtchen für die Statistiker. Die zeichnen uns einen Ort, in dem das Klima gemäßigt ist, die Wälder grün, der Fluss zumeist friedlich.

Die Häuser wachsen nicht höher als zwei Etagen, die Hecken sind geschnitten und die Rasenflächen in den öffentlichen Anlagen sauber gestutzt.

Rund um die Main Street geht der gemeine Petersburger seinem Tagwerk nach – naja, nicht jeder, knapp zehn Prozent der Erwachsenen sind ohne Job.

Doch der Rest ist Amerikaner nach dem erklärten Gusto des Präsidenten:

Potenziell sind die Petersburger zu dick. 33 Prozent der Menschen in der Stadt (Durchschnittsalter: 50 Jahre) haben Übergewicht, der statistische BMI ist mit satten 28 festgehalten.

Die dicken Menschen von Petersburg heißen gerne mal Mary, Ruth oder Myrtle, die beliebtesten Vornamen bei Männern sind John, William und James. Die Stadt wird von den Familien Alt, Sites und Ours dominiert, hat viele Kirchen, aber gar nicht so viele Kirchgänger (mehr als die Hälfte der Menschensind konfessionslos).

Die Frauen und Männer arbeiten im Bauwesen, im Verkauf, in Textilfabriken. Sechs Prozent der Erwachsenen kümmern sich um die Kinder und Schüler, um Bibliotheken oder sonstigen kulturellen Bedarf. Experten für Integration Andersartiger braucht es nicht: In der Stadt gibt es gerade mal zehn Asiaten, ein halbes Dutzend Indianer und eine halbe Hundertschaft Schwarzer.

Angeblich sollen die sich gut angepasst haben. Ärger zumindest machen sie nicht. Man mordet nicht, man schlägt niemanden krankenhausreif. Die Einsätze, bei denen der Sheriff wegen eines Einbruchs ausrücken musste, konnte man in den letzten Jahren an den Fingern zweier Hände abzählen.

Petersburg – das ist ein unheimlicher Friede. So eine Art Grabesstille – am Wochenende wird gegrillt. Und manchmal schaut man sich die schönen Dinge im Waffenmuseum an. Die Männer sind Spezialisten für die Jagd in den bergigen Wäldern der Umgebung – die Familien freuen sich schon jetzt aufs Spring Mountain Festival Ende April.

So streichen die Tage ins Land von West Virginia. Nur manchmal staut sich der Verkehr auf einer der sechs Brücken im Stadtgebiet – immerhin müssen pro Tag 32000 Autos die Ufer wechseln.

Ansonsten ist der Ort abgehängt.

Und das wird er auch bleiben. Daran ändert auch der Präsident nichts.

 

 

In Lindow haben die Menschen mal daran geglaubt, dass jetzt ihre große Zeit gekommen wäre. Damals sagte der Bundeskanzler Kohl, die Gebiete im Osten würden erweckt. Von „blühenden Landschaften“ sprach er.

Da können sie heute nur lachen, wenn sie vor dem Netto stehen und über die Politik quatschen.

Lindow ist gerade  mal eine Autostunde vom großen Berlin weg. Manchmal, in dunklen Nächten, sieht man hoch droben im Südhimmel das zage Wider-Schimmern der Großstadt-Lichter.

Aber mal ehrlich: Berlin ist so weit weg wie die Mittelmeer-Insel, die im Netto als Reiseziel für Frühbucher angeboten wird.

Ist zwar echt billig, der Trip – aber leisten kann sich den Spaß nur, wer Arbeit hat.

Jeder Zehnte in Lindow hat sich jedoch damit abgefunden, dass er bis zum Rentenalter keinen Job mehr haben wird.

Das ist nun mal so.

Der See ist sauber, die Touristen lieben das Gemächliche, das Konservative an der Stadt. Wer was unternehmen will, geht paddeln oder er holt sich einen Angelschein. Die Menschen in Lindow sind misstrauisch und machen um acht Uhr abends den Laden dicht.

Am Wochenende gibt es manchmal ein Konzert in der Kirche. Da hat man dann für zwei Stunden das Gefühl, aus dem Ort könnte was werden.

Die Kirche ist zwischen 1751 und 1755 von Georg Christoph Berger gebaut worden, und die Sauer-Orgel (die gibt es seit 1900) klingt geil. Gerne wird kolportiert, dass zu Zeiten Friedrich des Großen eine Sanduhr neben der Kanzel dem Prediger zu verstehen gab, er habe nun genug geredet.

Eigentlich haben sie viel zu erzählen, die Lindower. Über die DDR – so lang ist das noch nicht her, und die Narben sind nicht verheilt. Über die Wessis, die ohne Skrupel und Benimm das Land heimgesucht haben. Über die Angst, was aus dieser Sache mit den Flüchtlingen wird – schließlich musste man selbst welche aufnehmen, und nun lebt man mit dieser Zeitbombe.

Über die aus Berlin, die große Töne spucken und sich nicht blicken lassen – außer sie sind auf Stimmenfang.

Und über eine neue dumpfe Furcht, die einen beschleicht, wenn man wehrlos in Lindow lebt und gar nichts, gar nichts machen kann, wenn drüben in den USA Donald Trump so’ne Sachen macht.

Morgen: Stasi und andere Waffen