WARME GEDANKEN

11. februar 2917, petersburg, 15 grad, sonnig/lindow, -2 grad, heiter —- winter 16/17, Folge 33

 

Petersburg, West Virginia. Im Surplus Centre an der 19 Virginia Ave ist das Clinton-Klopapier runtergesetzt. Die Sechser-Rolle “Hillary” kostet nur noch 7,99 statt fast 15 Dollar. Das Produkt ist vor den Wahlen wie rasend über den Ladentisch des Waffenhändlers gegangen. Beworben wurde es mit dem Hinweis, sowohl Demokraten als auch Republikaner könnten sich mit dem extraweichen, mit Konterfeis der Politikerin Hillary Clinton bedruckten, dreilagigen Schmusepapier den Hintern abwischen.

Gekauft haben es fast ausschließlich Menschen, die wollten, dass Donald Trump Präsident würde. Die haben auch gerne noch einen Zehner für eine coole Trump-Trucker-Cap drauf gelegt. Das stand es geschrieben, davon träumen die Menschen in Petersburg:

MAGA.

Und so laufen sie dieser Tage durch ihre kleine Stadt, die einen vergleichsweise milden Winter erlebt:

Mit einer schmuddlig werdenden Kappe auf dem Kopf, die große Zeiten für die USA und für Petersburg in West Virginia verspricht.

Und mit der Sicherheit im Kopf, der Durchgreifer in Washington sei der Heilsbringer. Der mache das schon richtig.

Make America Great Again.

 

 

 

Lindow. Dieser Tage dauert die Runde mit dem Hund zweieinhalb Stunden. Der See liegt stark unter Eis, selbst der Rhin ist zugefroren.

Es ist ein eisgrauer Himmel und eine große Stille. „Sputnik“, der Hund, schliddert über Eisplatte und tapst durch knisternden alten Schnee. An der schweigenden Klinik im Wald vorbei. Durch Lindow zum kleinen Hafen, dort sind die Läden der „Seeperle“ verrammelt. Auf dem Campingplatz brennt ein Tageslicht in dem Wohnmobil des Dauermieters. Im Hafen brüllen Schlittschuh laufende Kinder ihren Spaß ins Land.

Über den Radweg zwischen den Feldern bei Klosterheide, in den stillen Wald, an der Mühle vorbei. Noch ein paar verschlossene Datschen, dann ist die Runde zu Ende – und der Hund streckt sich herrgottfsfroh auf seinem Kissen aus, als ein Feuer im Kamin angezündet wird.

Seine Beine laufen, er fiept. Der Hund träumt.

Vielleicht ist er in Gedanken im Sommer – wenn er sich gemessenen Trabs und auf trockenen Pfaden zur Umrundung auf die Pfoten macht.

Wenn es nach Bärlauch duftet, auf dem See tuckert ein Hausboot, zwei Erpel schwingen sich auf zu galanten Abenteuern. Von Neuruppin im Westen ziehen im schnellen Verband blütenweiße  Cirri über die Wälder. Ein Fischreiher schnarrt. Aus dem Städtchen Lindow kommt fernes Rauschen von Menschenleben und Verkehr.

Ob der Gudelack unter Eis oder Frühjahrs Erwachen im Wald:

Der gute alte Fontane würde solche „Sputnik“-Ausflüge als „heitere Landpartie“  bezeichnet haben. Da wird der Hund gerne mal zum Philosophen. Er setzt sich ans Ufer, drückt das Kreuz durch und blickt aufs Wasser. Er wittert in alle Richtungen, verfolgt ein Schwänepaar, beobachtet das Hausboot, legt die Stirn in drei Falten. Was er denkt, bleibt sein Geheimnis.

 

Dirk: Spalten ist ganz einfach FOTOS: BARBARA VOLKMER

Der Lauf um den See führt durch den Kosmos der Mark Brandenburg. Hinter Gühlen zum Beispiel ist im Wald Dirk zu hören. Gute Freunde nennen den Mann „Säge-Monster“. Dann verbirgt er seinen Stolz hinter einem schelmischen Grienen.

Dirk ist eine Seele von Mensch. Als Polizist  kümmert er sich um die Region zwischen Neuruppin und Rheinsberg. Da braucht es große Geduld und ein Mitgefühl für die Menschen, mit denen es das Leben nicht so übermäßig gut gemeint  hat.

Neuruppin bis Rheinsberg, Schulzenhof bis Zempow – das sind Sehnsuchtsorte der Kultur. Tucholsky und Fontane, Strittmatter und die großen DDR-Filmer im Autokino auf der Pferdekoppel, aus der Stadt geflohene Künstler und zur Ruhe kommende Schauspieler.

Sicher, auch das ist das Revier, für das Dirk verantwortlich ist. Aber die Menschen, um die er sich kümmern muss, haben oft Sorgen. Sie kennen das Leben nicht anders als ein Hartz-IV-Dasein. Sie haben Sorge um die Arbeit, sie fühlen sich ausgeschlossen.

Dirk schafft sich seinen Ausgleich zwischen den Bäumen. Er liebt es, sein Gerät in den Jeep zu packen und dann den „Wald aufzuräumen“. Er mag es, das Holz mit dem Holzt zu arbeiten. Es ist ein gutes Gefühl, so ein Stück Buche auf dem Hackstock zu haben, es zu fixieren und dann die Axt in einen haarfeinen Spalt zu wuchten. Alles über den Kopf heben, den Axtkopf auf den Hackstock sausen lassen, das Buchenholz splittert, die zwei großen Scheite fliegen ins Gras.

Getroffen. Gemeistert.

„Du musst das Holz nicht auseinander hauen“, sagt Dirk dann. „Du musst es auseinander gucken.“

Das sind nicht viele Wörter. Und doch ist alles gesagt.

Wer im Holz arbeitet, hat viel Zeit zum Nachdenken. Natürlich geht Dirk dann auch mal durch den Kopf, wie wohl alles wird in den kommenden Jahren. Werden seine Frau und er weiter ihr Leben für sich haben? Mit Grillabenden im Sommer, Silvesterfeier an der Ostsee, Angelpartien mit den Kumpels in Norwegen?

Was wird aus den Flüchtlingen, die hier im Ortsteil Klosterheide untergekommen sind? Bleibt alles friedlich oder rastet einer aus? Einer von den Flüchtlingen oder einer von den rechten Glatzen, die arbeitslos in den Tag leben? Wird man in Lindow etwas von dem neuen amerikanischen Gefühl mitbekommen? Und wie wird das sein?

Das sind alles viel zu große Gedanken für einen kleinen Mann.

Dirk hebt einen besonders mächtigen Klotz auf den Hackstock. Er holt aus, die Axt saust ins Holz.

Hau weg, die Sorgen!

Morgen: Angst und falscher Friede