MAHLZEIT!

Berlin, 4. Februar 2016

Die jungen Business-Frauen und –Männer notieren eifrig, ab und zu nippt jemand am Kaffee, ein Experte zielt mit dem Laserpointer auf die Merksätze an der Leinwand.

„Kritik ernst nehmen — Keine Panik! Ruhig bleiben und nicht unüberlegt handeln — Menschlich agieren, nicht unternehmerisch — Verlassen Sie sich auf Ihren gesunden Menschenverstand und internes Know How — Seien Sie selbstkritisch, aber auch…“

Der Passant am Werderschen Markt stellt sich auf die Zehenspitzen, um durch die hohe Scheibe einen Blick auf die Überschrift zu bekommen.

„Der Wurstkrieg“, heißt es da. Darum geht es also.

War’s ein Chaos oder ein genialer Coup, dieser Wurstkrieg, der da im Berliner Marketing-Seminar besprochen wird?

Rückblickend darf das Ganze wohl als ziemlich geglückte PR-Offensive interpretiert werden.

Schließlich hatte da ein auf den kontroversen Umgang mit dem Thema Ernährung gesetzt. Um die Aufmerksamkeit der Menschen zu bündeln. Funktioniert hat das folgendermaßen:

In Diensten der Diba-Bank hatte der sympathische Basketballer Dirk Nowitzki in seiner fränkischen Heimat mit einer älteren Fleischfachverkäuferin gescherzt, sich anschließend eine Scheibe Hausmacherwurst schmecken lassen und dazu gelächelt.

Und schon brach im Web der Krieg los.

Deutsche Nicht-Fleischesser ließen ihrer Wut auf der Fanseite der ING-Diba freien Lauf. So schrieb eine Dame: “Ich finde es unmöglich, dass es so eine Werbung gibt. Und ich finde es unmöglich, was ich hier für Kommentare lese von den Fleischfans. Als ich die Werbung sah im Fernsehen, empfand ich nur Ekel und Mitleid. Was seid ihr nur für Menschen, wenn ihr dann auch noch hier Witze über Tiere macht, so wie ‘Das Schnitzel schmeckt doch gut.’ Oder: ,Ich gehe mir jetzt mal ein Steak braten.’ Wie gefühlskalt seid ihr eigentlich?”

Hin und her ging es. Veganer gegen Fondue-Fetischisten, Tierschützer gegen Filet-Verkoster. Moralisten gegen Mortadilleros.

Was das mit dem Bankwesen zu tun hatte, wurde nicht erkennbar. Wurscht – die Diba hatte „Sendezeit“.

Nach über 1.400 Posts mit rund 15.000 Kommentaren war Schluss mit dem Wurst War. „Bei der Diskussion über die Themen Ernährung und vegane Lebensweise wurden wohl alle denkbaren Meinungen und Argumente ausgetauscht”, schrieb die Bank im Netz. “Um den Anliegen unserer Kunden und Interessenten wieder mehr Raum zu geben, werden wir nun neue Posts zu den genannten Themen von der Pinnwand entfernen.”

Und so gibt es Nowitzki zum Nachtisch nur noch für die Seminaristen vom Werderschen Markt.

Aber auch ohne Dirks Fleischeslust ist das Thema „Ernährung“ dieser Tage wieder ein echter Bringer. Die „Bild“ führt die Leser (mitsamt Kinderschar) vor den ganz närrischen Tagen noch schnell“gesund zum Glücksgewicht“. „spiegel online“ testet die Effizienz von Diät-Apps. Die ARD schwört auf „Steinzeitrezepte“. Der „Focus“ findet „Brigitte“-Rezepte toll. „Fit for Fun“ ist sich selbst der beste Koch: „Mit unserem Diätplan können Sie sofort loslegen. Holen Sie sich die Frühlingsfigur jetzt! Leckere Rezepte für morgens, mittags, abends, plus Einkaufszettel für 2 Wochen.“

Derweil sorgt sich die „Bunte“ um Daniela Katzenberger aus Mannheim: „Die 29-Jährige arbeitet derzeit an ihrer (alten) Traumfigur. Durch die Schwangerschaft mit Töchterchen Sophia (5 Monate) hatte Daniela 20 Kilo abgenommen. Fast die Hälfte hat sie schon wieder runter.

Aber gerade Lukas Cordalis, ihr Zukünftiger, macht es der Fernseh-Beauty nicht leicht, die strengen Abnehmregeln einzuhalten. Auf Facebook ist der 43-Jährige zu sehen, wie er sich auf dem heimischen Sofa einen süßen Snack schmecken lässt. ,Jetzt guckt euch mal an, was sich mein Mann abends um 22 Uhr reinpfeift – Cornflakes. Wie soll ich das jemals schaffen mit meiner Diät’, kommentiert die Blondine das Foto.

Wohl jede diätgeplagte Frau weiß, wie schwierig es sein kann, standhaft zu bleiben, während sich der Partner eine Kalorien-Sünde nach der anderen schmecken lässt. Daniela, wir fühlen mit dir!“

Hachja, die Sache mit den Diäten und dem richtigen Essen verfolgt uns. Selbst die Intelligenzia des Landes ist nicht gefeit. In dieser Woche titelt die „Zeit“:

„Der Kult ums gesunde Essen – Nahrung soll Energie und Freude bringen. Doch immer mehr Lebensmittel werden zum Problem gemacht. Vom Salz bis zum Fleisch. Warum eigentlich?“

Die Autoren kommen zu dem Schluss (einer eher geschmacksneutralen Geschichte), dass wir es derzeit schwer haben. „In unserer Wohlstandsgesellschaft grassiert eine Epidemie des schlechten Gewissens.“

Schluck! Würg! So schlimm ist es? Ehrlich?

Das „Journal“ macht Kostproben. Themen der nächsten Ausgaben:

  • Bouletten, Eisbein und Revolte am Mehringdamm: Berlin, im Februar 2016
  • Knochenarbeit: „Sputniks Welt“
  • Appetit vergangen: Das Metabolic-Desaster
  • Großer Kater: Die Wahrheit über den Aschermittwoch und den Katholizismus
  • Geheimwaffe: Quinoa ist schwer im Kommen
  • Fast(en) wie früher: Wenn weniger mehr ist