HEIMATLOS

berlin, 7. februar 2016

Nichts ist ungewöhnlich an diesem Samstag kurz vor zwölf in der „Kupferkanne“. Rose-Gül zapft mit der Grazie einer gemütlichen Molligen die Bierchen. Am Tresen stehen sieben Männer; Necip, der Wirt, sitzt mit zwei Ehemaligen des SV Grunewald an einem Tisch, man redet über die besseren Zeiten, als es den Verein noch gab und kein Flüchtlingsproblem – und als man sich noch keine Sorgen ums Bar-Bezahlen machen musste.

Von den sieben Mann an der Bar trinken sechs Alkoholisches, nur der Peter hat es mit der Leber und ist auf Tee umgestiegen.

Im Radio redet eine Frau sehr schnell und meint, gleich sei Mittag, in dreieinhalb Stunden laufe die Hertha auf, und nachmittags werde Sonnenschein erwartet.

Der Bernd hat mal das Schlagzeug in einer lauten Rocker-Band geschlagen, aber von vier Langhaarigen sind zwei in die Grube gefahren, und Bernds Zopf wird auch immer dünner.

Er trinkt aus, setzt das Glas hart auf die Schankfläche und sagt entschlossen:

„Rose-Schatz“ – Bernd ist der Einzige, der Rose-Gül „Schatz“ nennen darf, das traut sich nicht mal Necip – „Rose-Schatz, machste mir noch’n Schnelles. Und ’n Korn nehm ich auch. Dann muss ich aber.“

„Wie? Warum haste’s eilig? Wartet doch niemand auf Dich.“

„Das isses ja.“

 

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“Alsobald stieg in die Lüfte / Ein gar herrliches Gedüfte.

 

Bernd erklärt. Früher, als seine Hedwig noch war, hatte er ein paradiesisches Leben. Da ist er gegen halb eins rüber in die Alvenslebenstraße, rauf in den ersten Stock – und am Samstag hat er schon immer auf dem Gang gewusst, dass es was Gutes geben würde. Die Hedwig hatte es drauf mit dem Kochen. Und am Wochenende musste sie ja nicht auf Arbeit, da hat sie sich besondere Mühe gegeben.

Aber jetzt ist sie ja schon ein Jahr unter der Erde. Und Bernd muss das Kochen selbst übernehmen.

„Ist ja nicht so, dass ich mich drum reißen würde. Nee, so richtig gern koch’ ich nicht.“

Necip ruft, Bernd könne doch gern in der „Kupferkanne“ essen. Ob er die Karte wolle?

Neenee, sagt der Bernd, nichts für ungut, er glaube ja gerne, dass die Rose eine gute Köchin sei. „Aber mir ist das alles zu international. Ich liebe Berliner Küche.“

Einer fragt, wo es die denn überhaupt noch gebe, die Berliner Küche. Alle nicken sorgenvoll.

Nur der Peter ist eher heiter. Seit ihm die Ärzte so ziemlich alles verboten haben, müsse er sich auch keine Gedanken mehr machen, dass Berlins Gastronomie ihre Heimat verloren habe. „Et jibt fast überhaupt kein Eisbein mehr“, sagt der Peter, „aber det is mir ejal. Ick darf sowieso nich. Zu fettich!“

Ja. So ein richtiges Berliner Eisbein, ein „Strammer Max“, ‚ne Löffelerbse und eine dufte „Berliner Luft“ für hinterher – da muss einer schon lange suchen zwischen Frohnau und Köpenick.

Und wenn Du eine echte Currywurst kaufen willst, kann es Dir passieren, dass Du am Mehringdamm nicht mal mehr Schlange stehen musst.

Weil die Leute 20 Meter weiter gehen und dort Gemüse-Döner fressen.

Was sind das für verkommene Sitten!

 

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Von dem Eisbein und dem Kohl. / Und das jämmerlich’ Gequieke / Ist dem Schlächter nur Musike, / Ihm ist dabei sauenwohl.” (gesungen von den Herren der “Vereinigung befreundeter Kollegen der Graphischen Künste” anlässlich eines Eisbeinessens am 21. März 1925 in der Geheimratskneipe in der Jerusalemer Straße 8)

 

Der Bernd kippt den Klaren auf Ex. Er rülpst, murmelt „tschuldigung, Rose-Schatzi“, platziert die Schieber-Mütze schief über dem Zopf und sagt: „Bei mir gibt’s Eintopf. Da kann nix schief gehen.“

Nachdenkliches Schweigen. Mittags-Nachrichten aus dem Radio. Dann sagt einer am Tresen:

„Na, Mahlzeit. Mir is grad so ’n bissken der Appetit vergangen, wie ich so an den echt Berliner Eintopf vom Peter denke. Da nehm’ ich lieber noch ein Bier. Da ist garantiert Heimat drin.“