LIEBE

wien, 11. märz 2015

Wally, Du Prachtweib! Stockwerkhoch lockt die schöne Frau ins Leopoldmuseum. Eine luftig-weiße, leicht verrutschte Unterwäsch‘ hat sie an, die Strümpf‘, das Haar und das Stirnbandl hat der Maler Egon Schiele in Orange-Tönen gehalten. Das Modell ist eine große Verführung – Schiele muss sie sehr begehrt haben. Aber irgendwie war dann die Liebe nicht groß genug…

„Wally Neuzil – ihr Leben mit Egon Schiele“. So ist der Titel einer anrührenden Ausstellung im Wiener Leopoldmuseum (noch bis zum 1. Juni). Die Leut’ rennen der Wally und dem Egon die Bude ein. Das Gspusi der Beiden – Gotthabsielieb! – ist eine echte Schau.

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Sie wird gescannt…,

 

Im Katalog wird die Muse und das Modell des Malers ein „süßes Mädl“ genannt.

Als ob diese Frau damit auch nur annähernd gewürdigt würde!

Wundervolle Schieles hängen an den Wänden, ehrfürchtig steht der Besucher vor dem Werk des Genies. Und vergisst dabei manchmal, sich vor Wally Neuzil zu verneigen.

Die war, so ist der Eindruck beim Verlassen der Ausstellung:

Ein „süßes Mädl“, mehr nicht.

Was von ihr bleibt:

Eine kurzatmige Biographie. Ein paar Brieffetzen: Ein Lichtbild, das sie beim Sonntagsspaziergang mit ihrem Egon zeigt. Einige Randbemerkungen von Schiele betreffs seiner Lebensgefährtin. Die Erinnerung, wie er sie letztendlich wegen einer anderen Frau zum Teufel haute (nicht, ohne ihr anzubieten, er könne doch einmal pro Jahr mit der Wally eine Woche oder so im Urlaub fremd gehen). Es bleibt das wundervoll-ewige Aquarell der “Jungen Frau mit Unterwäsche und Strümpfen” aus dem Jahr 1913. Es sind geblieben eine Handvoll weiterer Bilder, auf denen sie schön und streng und sinnlich ist. Es bleibt ein Taufbuch-Eintrag. Ein Foto aus ihrer Nach-Schiele-Zeit als Krankenschwester im Krieg. Der Eintrag, nachdem sie in der Fremde an Scharlach gestorben ist.

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sie zog die Blicke auf sich.

 

Es bleibt die Erkenntnis, dass man angeblich “nicht mehr über den Menschen Wally” weiß.

Wirklich?

Hilde Berger hat “Tod und Mädchen” geschrieben, einen Roman, der Schieles Leben aus der Sicht von vier Frauen – darunter Wally Neuzil – erzählt. Der hilft durchaus beim Verstehen dieser mutigen Wegbegleiterin des Malers auf seinem Grenzgang.

Wally “ist als lediges Kind geboren, ihre Mutter war eine Tagelöhnerin, der Vater ein Hilfsschullehrer – das war das Geringste, was man damals als Lehrer sein konnte. Die wenigen Briefe zeigen, dass sie gut geschrieben hat. Schiele konnte ja keinen geraden Satz machen, und Wally hat für Schiele auch die Buchhaltung gemacht.”

Bei ihren Recherchen hat sich Hilde Berger vorgestellt, wie das für die 15-jährige Wally gewesen sein muss, als sie in die Großstadt ging und das Modell bei Gustav Klimt wurde. So etwas schafft eine Bürgerliche nicht. Modell bei einem gspinnerten Maler? Das war ja fast wie eine vom Strich.

Aber Fräulein Neuzil wusste, was sie tat. Sie mochte diese Kreativen. Irgendwann passierte es: “Klimt empfahl die Wally an Schiele weiter, weil er sah, dass es gefährlich wurde, wenn der Kollege immer nur kleine Mädchen malt. Klimt hat auch die Sitzungen bezahlt, denn Schiele war völlig pleite.”

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Sie wusste, wie wunderbar sie war.

 

1911 bis 1915 war Wally die Stütze des Malers. Hauptmodell, Hauswartin, Putze, Sekretärin, Geliebte. Als er wegen angeblicher sexueller Übergriffe gegen Minderjährige in Untersuchungshaft kam, kümmerte sie sich. Sie war einfach da. In einem Brief schreibt er: “Von meinen nächstbekannten rührte sich niemand außer Wally, die ich damals kurz kannte und die sich so edel benahm, dass mich dies fesselte.”

Sie waren so eng, sie hatten ein so großes Gefühl.

Und dann trennt er sich von der jungen Frau. “Ein Grund”, sagt Hilde Berger, “war offenbar, dass ein Modell einfach nicht standesgemäß war. Gerade nach seinem Prozess hat Schiele versucht, sich in der Gesellschaft zu etablieren, eine Ehe mit einem Modell wäre da schon sehr mutig gewesen.” Ausserdem: “Wenn ein verheirateter Akademiker im Ersten Weltkrieg eingezogen wurde, durfte er die Ehefrau mitnehmen und mit ihr im Hotel schlafen.”

Wally ging. Ein letztes Treffen, eine bittere Aussprache. Sie stand auf und ging. Drehte sich nicht mehr  um. Sie meldete sich als Hilfsschwester beim Roten Kreuz. “Ein Mal wurde sie noch in Wien bei Klimt gesehen, es gab sogar ein Gemälde von ihr, das Klimt vermutlich 1916 gemalt hat. Doch es verbrannte am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Schloss Immendorf.”

Wally Neuzil starb 1917 in einem Landwehr-Marodenhaus in Sinj bei Split an Scharlach.

Geblieben sind unter anderem das “Bildnis Wally”, der “Tod und Mädchen”, geblieben ist “Kardinal und Nonne”. “Tod und Mädchen”, sagt Berger, “ist ein Abschiedsbild. Wie er sie hält und gleichzeitig loslässt… Das Bild war noch nicht fertig, als Schiele sich mit der Nachbarin zusammentat. Es hieß ursprünglich ,Mann und Mädchen’, aber als Schiele von Wallys Tod erfuhr, benannte er es in ,Tod und Mädchen‘ um.”

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Sie passte einfach. In jeden Rahmen – und auch heute noch ins ehrwürdige Leopoldmuseum: Wally Neuzil. FOTOS: BARBARA VOLKMER

 

Geblieben ist auch in der Ausstellung im Leopoldmuseum eine aquarellierte Bleistiftzeichnung. “Die Orange, das einzige Licht”, entstanden am 19. April 1912. Da saß der Maler im Knast. Die Einzige, die ihn besuchte, war Wally. Sie brachte dem Geliebten eine Orange mit. Und Papier. Und Stifte. Dann musste sie gehen.

Und er zeichnete. Wie die Zeit verging! Er zeichnete, und es war gut.

Später notierte Egon Schiele in seinem Gefängnistagebuch: “Ich habe das Lager in meiner Zelle gemalt. Mitten im schmutzigen Grau der Decke eine glühende Orange, die V. gebracht hat, als das einzig leuchtende Licht im Raum.

Er hatte gemalt – und es war gut gewesen. Und Wally Neuzil, dieses “süße Mädel”, hatte es gewusst.

So war das!

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Eine Aufnahme, die ein Paparazzo nicht besser hätte hin bekommen können: Egon und Wally beim Flanieren.