PSSST! WIEN!!!

wien, 10. märz 2015

Aaah! 15 Grad! Sonne! Und seit heute freier Zugang zu den Freischankflächen der Stadt, genannt “Schanigarten”! Die “Presse” jubelt: “Der offizielle Startschuss ging mit Melange und rosa Torte über die Bühne, die Verhandlungen zur Aufhebung der Wintersperre beginnen frühestens nach dem Sommer.” Da atmen auch die 800 Spione in der Stadt auf. Denn so ein Schanigarten ist wie geschaffen zum “Arbeiten”.

Tagsüber – so stellt man sich das zumindest gerne vor – sitzen sie in und vor den Caféhäusern und verbergen sich hinter Zeitungen, in denen so einiges über die Verschwörungen in der großen bösen Welt zu finden ist.

Abends treffen sie sich beim Heurigen und raunen einander Ungeheures zu. Danach drücken sie sich durch die dunklen Gassen der Altstadt. Sie klappen die Mantelkrägen hoch, wenn ein Schatten an den Mauern entlang streicht und ein Paar Schuhe “klack-klack-klack” bedrohlich näher kommen.

Und dazu zupft einer auf der Zither das “Harry-Lime”-Thema.

Spione.

Wien.

Das ist eins.

So sieht es auch der Geheimdienstexperte Emil Bobi. Er hat “Die Schattenstadt” geschrieben und weiß, dass sich die Spione in Österreichs Hauptstadt wohl fühlen, weil der Wiener ist, wie er ist. Ein Bürger, der immer vor der Obrigkeit gebuckelt hat. Offene Revolution? Nicht mit dem Wiener. Der hat sich lieber “in ständiger Konspiration den Unbill von oben entzogen”.

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Ja, mitten im Getriebe – da unwest er, der gemeine Spion….

 

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden allein in den Akten der kommunistisch-tschechischen Staatssicherheit 12000 Namen von Wiener Zuträgern gefunden. Diese Privat-Agenten brachten zwar meist nur belanglose Informationen. Doch sie waren halt scharf auf die Honorare,  ebenso wie die tschechischen Geheimagenten, die daran beteiligt waren.

Einer von den Ösi-Spionen war der charmante Helmut Zilk. Leitender Journalist im ORF, Unterrichtsminister, Bürgermeister von Wien – und “Holec”. Unter diesem Decknamen soll Zilk in Österreich spioniert und zwischen 1965 und 1968 dem tschechoslowakischen Geheimdienst Stb (Statni Bezpecnost) Informationen über seinen Parteikollegen Bruno Kreisky und die VP-Alleinregierung unter Josef Klaus geliefert haben. Zilk erhielt dafür über Verbindungsmänner Geld und Sachgeschenke – unter anderem ließen die Tschechen dem Holec einmal einen schönen kristallenen Lüster zukommen.

“Folge dem Geld” ist der Leitspruch eines seriösen Spions. Im Filmklassiker “Der Dritte Mann” hört sich das dann unter anderem so an:

“Denk dran, was Mussolini gesagt hat: In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr…”

Spione reden aber auch gerne Tacheles. Wie wäre es mit:

“Wir müssen tiefer schaufeln, als ein Grab ist.”

Oder:

“Überlassen Sie das den Fachleuten. Hinter allem lauert der Tod.“

Oder (und das klingt schon sehr gefährlich):

“Gehen‘S raus, oder ich vergess‘ meinen Wiener Charme.”

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Unter jedem Dach, ach! Das Böse ist immer und überall…

 

Die Spione haben also das Wiener Blut seit Generationen aufgefrischt. Schon nach Ende des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Kriegs war Wien Basislager für Feldzüge der Geheimdienste. Die USA schätzten damals, dass für Geld, Alkohol und Zigaretten jeder zehnte Österreicher als Informant zur Verfügung stehen würde. Auch Leopold Figl, von 1945 bis 1953 Bundeskanzler der Republik, werden gemeinsame Frühstücke mit US-Agenten nachgesagt. Die hatten sich in unmittelbarer Nähe seiner Villa eingemietet.

500 Mitarbeiter jobbten “auf Montage” in den 1960-ern für die amerikanische CIA in Wien, 1500 Mitarbeiter schnüffelten für den russischen Geheimdienst.

Den größte Coup landeten die westlichen Besatzungsmächte bei der “Operation Silver”. Briten und Amerikaner gruben einen Tunnel unter die sowjetische Besatzungszone Wiens und zapften eine Telefonschaltstelle der Militärführung an. Monatelang hörten sie beim ahnungslosen Feind mit, dann stürzte der Tunnel ein.

Auch heute tummeln sie sich noch in Wien, die dritten Männer. So tauschten die USA und Russland 2010 in einer spektakulären Aktion am Flughafen Schwechat aufgeflogene Spione aus.

Ein Jahr zuvor wurde in Wien Umar Israilov auf offener Straße erschossen. Der Asylwerber war Widersacher des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, sollte gegen ihn beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Kronzeuge aussagen. Das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) sieht in seinem Abschlussbericht Kadyrow als Drahtzieher hinter dem Mord. Auch der russische Geheimdienst soll Israilov auf einer Todesliste gehabt haben.

Achja, überhaupt! Der Flughafen!

Eine Hauptdrehscheibe war er immer. In den Transitbereich konnte man mit Diplomatenpass hinein, auch ohne Flugticket. Ein idealer Platz für dunkle Transaktionen.

Der frühere Flughafen-Polizeichef Alfred “Django” Rupf erinnert sich: “Wenn eine Maschine aus Moskau gekommen ist, sind die ganzen westlichen Geheimdienste draußen gesessen und haben geschaut und fotografiert, wer da kommt.”

Guido Grandt ist einer der Verschwörungs-Adabeis der Republik. Er wittert, er trüffelschweint, er schreibt und filmt, als ob es kein Morgen gäbe. Sogar für den Grimme-Preis ist er mal nominiert worden. Über sich erklärt er in aller Bescheidenheit: “Ich bin Jahrgang 1963, freier TV-Produzent, TV-Redakteur, Fachzeitschriftenredakteur und Buchautor.”

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Und in den Aktenstuben haust das Grauen…

 

Und breitet im Anschluss seine düstere Weltensicht aus. In und rund um Wien braut es sich zusammen, tagein, tagaus:

Das Grauen! Das Dunkle! Die Gefahr! Der Untergang!

“Vergessen wir nicht, dass die als Verschwörung diffamierten geopolitischen oder geheimdienstlichen Ereignisse oftmals genau das sind: politische Geheimbündelei, Intrigen, Komplotte. Verschwörungen auf höchster Ebene!”

Arggh! Wie soll unsereins da noch ruhig schlafen?

Guter Tipp:

Die Schanigärten sind seit heute offen. Ein Viertel Weißer und ein Schmäh-gewürztes Gespräch – dann sieht die Welt wieder heiter aus.

Und die Spione? Egal. Beim Heurigen sollen die ganz friedlich sein – sagt man.