DER FRIEDLOSE HOF

sommer zwanzichfuffzehn IV

Er wanderte ostwärts. Bei Krangen hockte sich Hans Krohn auf einen Baumstumpf und war sauer auf sich, dass er den Wein getrunken hatte.

Klar, “Papa Jupp”ließ keinen Gast trocken. Also hatte der Typ, der auf die Villa am See aufpasste, für Hans Krohn den Kühlschrank gefüllt.

Bordeaux. Schwer. Samtrot. Ging runter wie nix. Dazu Roastbeef und Foccacia. Der Jupp wusste schon, was Hans Krohn mochte. Sowas merkte der Mann sich für ein Leben. Da war er wie ein perfekter Fünf-Sterne-Portier. Einmal waren sie, nach langer Nacht, in der “Bülowkneipe” gelandet – und Jupp hatte die Polin hinter dem Tresen nach dem Studium ihrer Tochter gefragt. Die Polin hatte fest geflennt vor Rührung.

Tja, sowas merkte sich der Jupp.

Egal.

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Die Welt wächst. Die Welt will.

Krohn streckte sich, stand auf. Schöne Landschaft. Ein bisschen flach. In den Feldern wogte es, ein Wald säumte den Horizont. Im Weizen hielten ein paar Kornblumen die Stellung und solche mit gelben Dolden, deren Namen er nicht kannte.

Nach eineinhalb Stunden – er hatte einen kleinen Kanal erreicht, dem war er gefolgt, dann an einem See rechts abgebogen – ging er durch ein menschenleeres heißes Dorf. Er verließ bald die Teerstraße, ließ sich auf einem Schotterweg durch einen Nadelwald leiten, die Bäume lichteten sich, er stand unvermittelt vor einem Vierseithof.

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Einzelgänger haben Bleiberecht.

Nein, er stand nicht, er stockte.

Was war das denn?

Der Hof brach in sich zusammen. Die Ziegel, nackt, bröckelten. Die Haustür war seit Jahren nicht mehr geöffnet worden. Davor lag knietief Kleineisen. Schrauben. Muttern. Bänder. Federn. Draht. Nägel. Batterien.

Knietief.

Aus dem ersten Stock kam eine Stimme. Ein Mann hielt einen Vortrag und sprach wohl dabei gegen den Fernsehapparat an:

“Ich sach Dir, der Wolf steht bei uns schon vor der Tür. Von den Polacken kommt er. Aber wir geben uns nicht kampflos geschlagen. Weisst Du, was ich gemacht habe? Ich habe drüben am See ein Schild aufgestellt, da steht drauf ,Zum Biber’. Die wollen doch alle Biber reißen, die Wölfe. Dann lesen sie das Schild und latschen mir direkt in die Falle.”

Hehehe.

Das Lachen kam von einem Anderen.

Hans Krohn sah sich um. Der Hof war sehr weitläufig. Nur der Raum, aus dem die Stimmen kamen, schien bewohnt. Viel Land schien an dem Anwesen zu hängen – überall lagerte schweres Gerät.

Schweres, totes Gerät.

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Doch auch: Undank ist der Welt Lohn.

Traktoren ohne Räder. Traktoren mit Rädern. Räder ohne irgendwas. Ein Mähdrescher, aus dem eine Weide wuchs. Zerrostete Eggen. Motoren. Morsche Silos. Lecke Tanks.

Noch ein paar Jahre, dann wäre endlich Gras über diesen Friedhof gewachsen.

Hans Krohn war fasziniert und angewidert. Er begann zu fotografieren.

“Da lässt Du schön sein, mein Freund!”

Hinter ihm stand ein Mann. Er hatte die Stimme, die von dem Wolf und dem Biber und dem Schild erzählt hatte. Der “Hehehe” war nicht da.

“Hier wird nicht fotografiert, verstehst Du! Was willst Du überhaupt hier? Privatbesitz – ist Dir das ein Begriff?”

Krohn sagte erstmal nichts. Das war meistens besser.

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Das Ende der Erde: auf diesem Hof nur noch Schrott und Rost.

Der Mann hatte nur einen schwarzen Slip an. Das T-Shirt war wohl auch schwarz, aber es hatte viele Fettflecken und was Weißes und was Graues und noch ein paar andere Farben von Fremdstoffen. Der Mann hatte muskulöse Arme, er war alt, aber er stand mit breiten Beinen in der Sonne. Ein Penner-Gestank ging von ihm aus, aus dem Mund roch er übel – und wenn er böse lächelte, legte er zwei schwarze Stummel frei.

Ansonsten: zahnlos.

Hans Krohn war nicht ohne Sorge.

13. juli 2015