VERGESSEN WERDEN

berlin, 28. mai 2015

Die Gedenktafel verwittert furchtbar schnell. Das schöne Silbergrau blättert ab, Buchstaben und Zahlen verlieren sich. Im Zeitraffer verschwindet die Erinnerung an einen Menschen. Es ist Ende Mai 2015, vor 50 Jahren ist der Mensch zu Grabe getragen worden. Vor 13 Jahren hat ein Kölner Kunstfreund durchgesetzt, dass an dieser Stelle eine Tafel ins Haus Nummer 50 am Kurfürstendamm gedübelt wurde. Man hat alle Denkmalschutz-Pragraphen beachtet, die Tafel glänzte silbern, die Buchstaben und Zahlen waren so deutlich zu lesen, dass es den Anschein hatte, dem Menschen sei eine kleine Ewigkeit geschenkt worden.

Ach was! Alles Quatsch! Alles verblasst. Zum Fürchten ist das.

Vor 13 Jahren rang sich Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen am Kurfürstendamm 50 eine schale Rede ab:

“Ich freue mich, dass wir den großen Sänger und Opernintendanten Michael Bohnen mit einer Gedenktafel an diesem Haus ehren können. Er lebte hier von 1932 bis 1965. Vielen gilt er als der bedeutendste Bassbariton Deutschlands im 20. Jahrhundert. Von 1945 bis 1947 hat er als Intendant der damaligen Städtischen Oper Charlottenburg das Haus in den ersten Nachkriegsjahren geführt und damit den Grundstein für die heutige Deutsche Oper gelegt.

Michael Bohnen wurde 1952 mit dem Goethepreis der Stadt Berlin (Ost) ausgezeichnet. In Berlin-Neukölln erinnert seit 1976 der ,Michael-Bohnen-Ring’ an ihn, und auf dem Friedhof Heerstraße hat Berlin sein Grab als Ehrengrab übernommen. Heute können wir nun auch mit einer Gedenktafel an seinem früheren Wohnhaus an den großen Sänger und Opernintendanten Michael Bohnen erinnern. Ich danke noch einmal allen, die dazu beigetragen haben.”

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Hoppla, jetzt komm’ ich – ein Kerl für die Ewigkeit.

Damit hatte die Bürgermeisterin aber auch endgültig das Pulver verschossen. Das musste reichen für Michael Bohnen.

13 Jahre später nimmt niemand mehr Notiz von der Gedenktafel. Der Penner gegenüber streichelt seinen Hund und blickt verdrossen in den Papp-Kaffeebecher: immer noch leer, die Passanten haben heute vernähte Taschen. Ein unansehnlicher Herr aus dem Orient hat ein zufriedenes Gesicht, im Schlepptau seine sehr junge Begleiterin, die sich an Taschen von Yves Saint Laurent krumm trägt. Ein Geschäftsmann bellt ins Handy, dass das ein Scheiß-Meeting gewesen sei und dass das Folgen haben werde. Zweie knutschen sich ab.

Das ist der Ku’damm, den Michael Bohnen geliebt hat. Da haben’se auch vor hundert Jahren geküsst, geschimpft, geliebt, gebettelt. War immer so.

Diesen Ku’damm ist Michael Bohnen rauf und runter flaniert, mit iommer wechselnden Frauenspersonen. Er hat hier Trinkgelder verteilt, als ob das Ende der Welt nicht weit wäre. Bohnen hat mit dröhnender Stimme die Droschken zum Kempinski kommandiert und er ist langsam voran gekommen, weil jeder von ihm etwas haben wollte. Eine Unterschrift auf einem Starfoto, einen Klaps auf die Schulter, ein nettes Wort, eine Nähe.

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Der Bart ist ab – so schnell geht das.

Er war ein Megastar.

Davon mehr.

Michael Bohnen ist später, da wurde er alt und die Knochen taten ihm weh, langsam den Ku’damm entlang gewandert. Er war hager geworden – und irgendwann kannte ihn laum noch jemand. Seine Anzüge, sein Sakkos trug er auf, besonders an den Ellbogen wurden sie fadenscheinig und abgewetzt. Er konnte keine Trinkgelder mehr geben – und wenn sich Bohnen einen Besuch im Kempinski leisten konnte,  war’s ein Festtag.

Bei Wikipedia heißt das Ende so einer Biographie dann: Er starb “in völliger Armut”.

Und nun, 50 Jahre nach dem Tod eines der größten Sänger des letzten Jahrhunderts, verliert sich die Spur.

Das ist nicht in Ordnung.

Morgen: Was kostet die Welt?