KLAPPE? NEIN!

berlin, 17. mai 2015

Hätte wieder mal so ‘n öder Samstagabend vor der Glotze werden können: Carmen Nebel und die Volksmusik. Donna Leon und die gepflegte venezianische Blutleere. Deutschland auf der Suche nach kreischenden Superstars. Johnny Depp, Heike Makatsch oder auch Justin Timberlake zum hundertsten Mal. Oder gleich das Kleine Arschloch. So war das gestern Abend. Man konnte aber auch eine nette Überraschung erleben: die Darling-Berlin-DVD “Flucht nach Berlin” von Will Tremper einlegen und mit Vergnügen den Kreativ-Ausflügen eines Großen des Nachkrieg-Cinemas folgen, der sich einen feuchten Kehricht um politische Korrektheit im Filmbusiness geschert hat.

Dieser Tremper sollte für die Jetzt-Zeit wieder erfunden werden. Der Typ hat fürs Erzählen gelebt. Vor allem als Schriftsteller und Journalist hat er sich Luft gemacht. Aber ein knappes Jahrzehnt lang hat er sich auch als Filmer ausgetobt. Norbert Grob schreibt über den Autodidakten aus Braubach am Rhein: “Will Tremper – ein deutscher Filmemacher in der Tradition der hardboiled-Regisseure, ein Bruder im Geiste der großen Naiven und Rabiaten, wie Robert Aldrich, John Sturges und Samuel Fuller.”

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Wegweisende Bilder.

Stimmt. Film ab!

“Flucht nach Berlin”

Deutschland 1960. Der ostdeutsche Bauer Hermann Güden hat von den staatlich angeordneten Schikanen der SED-Oberen genug. Er ist nicht länger bereit, sich der Zwangskollektivierung daheim in seinem sachsen-anhaltischen Dorf zu unterwerfen, da dieser Zustand ihm keine Perspektive mehr bietet. Und so plant er von langer Hand die Flucht in den Westen. Güden schickt zunächst Frau und Kind in den Westen Berlins und will, so schnell es geht, nachkommen. Doch die SED-Apparatschiks bekommen Wind von der Sache. Im Eifer des Gefechts verprügelt Güden den Parteigenossen Baade und flieht anschließend…

Dreharbeiten an der Pfaueninsel im Wannsee, in Bad Hersfeld und in Minden. 26 Kilometer Rohfilm. Endfilmlänge 2883 Meter. 976 Einstellungen mit 72 Darstellern und 104 Komparsen.

Uraufführung im März 1961. Zwei Jahre später wagt das ZDF eine Ausstrahlung. Bundesfilmpreise für Christian Doermer als besten Nachwuchsdarsteller und die Musik von Peter Thomas.

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Durchblick und Angstfreiheit.

Eigentlich hätten danach Tremper als Großen im deutschen Film die Türen offen stehen müssen. Dem war aber nicht so. Er blieb der große Solist, an den sich Sohn Timothy erinnert:

“Angefangen hat alles folgendermaßen. Der Schweizer Kaufmann und Repräsentant für amerikanische Fime in Zürich, Michael Schwabacher, war ein großer Fan. Kaum hatte er in West-Berlin meinen Vater kennen gelernt, übergab er ihm einen Scheck über 500000 Mark. ,Sie schreiben immer so, als wüssten Sie, wie man bessere Filme dreht. Ich finanziere Sie jetzt.’ Das war im Frühsommer 1960.”

Und so hat Will Tremper gefilmt, wie er auch zu schreiben gewohnt war. Ohne zu zögern, seinen Instinkten und seinen Gefühlen auf der Spur. Blendende Kritiken zwischen New York, Rosenheim und Tokio. “Flucht nach Berlin” war so gut, dass selbst der erzkonservative CSU-Innenminister Hermann Höcherl eine Prämie, zahlbar am ersten Drehtag des nächsten Tremper-Films, anweisen ließ.

“Leider”, erinnert sich Sohn Timothy, “wurde der Film an der Konokasse ein Flop. Kurz vor der Bundesfilmpreisvergabe rief der zuständige Ministerialrat Fuchs an. Er bat meinen Vater innigst darum, den Schluss zu ändern. In der Fluchtsequenz schwimmen die Schauspieler über die Havel auf eine amerikanische Yacht zu. Eine dralle Blonde mit Champagner-Glas in der Hand schreit ,Flüchtlinge!’, und während die Spaßgesellschaft die Schwimmer an Bord zieht, schreit die Blonde wieder: ,Es lebe die Freiheit!’ Der Ministerialrat hielt das für einen Affront gegen den Westen. Mein Vater hat natürlich nicht daran gedacht, den Schluss auch nur anzufassen. Sollten die Bonner doch denken, was sie wollten. Hinter seinem Rücken wurde das Ende durch den Constantin-Verleih dann doch weg geschnitten.”

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Brückenschlag in die Zukunft. Will Trempers Filme lohnen das Hingucken.

Klar, dass Tremper, dieser Wort-Künstler, mit der Film-Industrie nie seinen Frieden machen konnte. Lieber blieb er ein Unbequemer. Oder, wie sich der Sohn im “Spiegel” erinnert: “Für meinen Vater war es irgendwann die richtige Entscheidung, die Regie aufzugeben. Er hätte sich nie hingesetzt und Anträge für Filmförderung ausgefüllt.” 

Recht so. Neue Trempers braucht das Land.

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Mal ehrlich: Der Mann war voll im Bild.