GRAN-ULAT

TANZ DER VIREN II, Folge 91

Das Prinzip ist einfach, es gibt ein Wort dafür:

ANTIZYKLISCH.

Die Theorie dazu hat sich einer der Insassen ausgedacht, der drei Monate auf der Geschlossenen war und im richtigen Leben Millionen mit Investmentfonds gemacht hatte. Dann hat es ihn im Business zerrissen, das Koksen hat ihm den Rest gegeben, schließlich ist er in Haar angeschwemmt worden.

Er ist ein großer Partymacher auf Station gewesen. Immer noch profitieren die Leute von seinen Erkenntnissen.

Wie gesagt: ANTIZYKLISCH.

Draußen beginnt eine gute Party am frühen Abend, kontinuierlich feiert sich die Gesellschaft in die Bedröhnung. Ziel ist die größtmögliche Enthemmung, man verliert im geschützten Raum die Kontrolle über sich. Die Party dauert und dauert, am nächsten Morgen hat sich die Angelegenheit erledigt.

So funktioniert das natürlich auf Station nicht. Die Pfleger, zumal die Kollegen der Nachtschicht, schauen zwar nicht sehr genau hin. Aber sie müssten einschreiten, wenn sich die Patienten zwecks größtmöglicher Enthemmung ungeniert abschössen.

Und so haben die Bewohner der Geschlossenheit das System des kontrollierten Nirwanas in den letzten Jahren mithilfe der modernen pharmazeutischen Errungenschaften perfektioniert.

Bereit?

Nun denn.

Eine Fete auf Station wird à la longue vorbereitet. Spontan feiern nur die Anfänger, die erwischt man dann auch meistens. Ist im Grunde genommen nicht so schlimm, wenn sie Dich kriegen. Was sollen sie Dir schon anhaben? Sie verlängern Deinen Aufenthalt. So what? Aber Du willst Dich von denen nicht schnappen lassen. Irren-Ehre.

Gelungene Partys wollen geplant sein.

Das Datum steht fest – und die Sause beginnt vor dem Frühstück. Da nimmste die erste Dosis. Nach dem Frühstück werden die Medikamente ausgeben – die schluckste, weil es Aufheller sind. Gegen Mittag tuste eine zweite Dosis drauf, nachmittags kommt Nummer drei, die Medikamente zum Abendessen lässte verschwinden, weilse Dich geschmeidig und müd machen sollen. Abendessen ist um sechs, danach kümmern sich die Pfleger mindestens drei Stunden nicht um Dich. Da haste Zeit, Dich vollzujuckeln, ins Bett zu wackeln und zu pennen, bevor die Lichter ausgehen.

Kein Schwein kriegt die Party mit.

Außer denen, die eingeladen sind.

Die starten in einen grauen Tag. Nehmen die erste Ration und heben ein bisschen ab. Sie schwe…

Du schwebst so durch den Tag und hältst Dich immer knapp überm Boden. Nur nicht ganz abheben. Aber auch nicht auftatzen und Dir die Nase schrammen.

Ist eine Kunst.

Woher die Dosis kommt?

Kein Ding. In Haar ist man nicht so blöd wie der Spahn (das ist der Gesundheits-Fuzzi drausst im Land). Der hat für nix ‘nen Plan.

Bei uns in Haar hat man die Lieferwege und die Logistik und das ganze Drumherum im Griff.

Wir haben, wenn es zu Party kommt, unsere Dosen parat.

Ist ganz easy.

Der Patient bekommt jeden Tag ein halbes Dutzend, ein Dutzend, einen Zehnerpack Medizin. Upper werden ihm serviert und Downer. Hartes Zeug, das den Patienten ruhig stellt wie eine Zwangsjacke. Nimm, schluck, halt’s Maul und gib‘ Ruh‘!

Aber der kluge Insasse tut den Teufel und schluckt den Stoff. Die Tabletten werden unter der Zunge gebunkert und später im Granulat von einer Sukkulente verbuddelt. Das summiert sich, es ist das vergrabene Versprechen für einen garantiert guten Tag.

Dann gräbt man seinen Schatz aus.

Und dann, ja, dann gehen die Lichter an.

© BILDKUNST JOHANNES TAUBERT