GOSSEN-TALK

18. märz 2017            ——-          DER NEUE, Tag 58

New York, 1980

 

Sandy McSowieso war ein guter Buddy an der Bar. Ich vermute mal, er würde das stark dementieren und mir für die Behauptung einen Anwalt aufs Hemd hetzen.

Das kann er, wenn ihm danach ist. Er hat eine Armada Anwälte, die für ihn in den Ring steigen. Er hat eine Frau mit kurzgeschnittenem schwarzen Haar und himmelhohen Beinen. Sandy züchtet Pferde in Wyoming und lässt Aktien für sich um die Wette rennen. Er hat einen eigenen Jet, und am Ende des Winters gönnt er sich einen Monat in seiner Lodge in Aspen.

Übrigens: Sandy ist ein beschissener Skifahrer, aber das tut hier nichts zur Sache.

Über seine sportlichen Misserfolge lacht Sandy McSowieso – aber wer ihn auf seine dunklen Jahre anspricht, hat schon die Fangzähne seiner Advokaten an der Gurgel.

Ich kenne ihn aus den finsteren Zeiten. Da hat keiner mehr einen Cent auf dem versoffenen Sandy gegeben. Mann, der Typ hatte in zwei Dutzenden Kneipen in Manhattan Hausverbot. Wenn Du mit dem in ‘ne Bar rein geschlingert bist, hat der Kerl hinterm Tresen drei Kreuze gemacht. Wenn wir Kohle hatten, haben wir das Haus frei gehalten. Wenn wir blank waren, haben wir auf Pump gesoffen, bis sie uns in den Rinnstein befördert haben.

Mit Sandy war es riesig. Wir haben vor unseren Getränken gesessen und wussten, wann die Zeit des Schweigens gekommen war.

Manchmal musste aber auch einer von uns etwas los werden. Dann hat sich der Andere gerade hin gesetzt, aus Höflichkeit, und ist zum Ich-hör-Dir-zu-rede-es-Dir-von-der-Seele-Therapeuten geworden.

Als wir uns kennen lernten, wusste ich nicht, dass Sandy mit meinem Bruder in einer Klasse gewesen war, dass sie gemeinsam die Akademie überstanden hatten, dass sie „Freunde“ gewesen waren.

Wenn man denn das Wort „Freund“ verwenden kann. Eigentlich ist mein Bruder kein Mensch für Freundschaften. Er würde das wohl anders sehen. Er nimmt Geschäftspartner gern in den Arm und schwärmt von „Ich und mein Freund…“ – aber die Typen lässt er fallen wie faule Eier, wenn sie ihm nicht mehr nützen.

Sei’s drum – damals, an der NYMA, redeten sich Sandy McSowieso und Donald T. ein, sie seien gute Freunde. Sie haben sich auch immer wieder aus der Patsche geholfen, wenn das möglich war.

So eine Art Musketiere waren sie dann wohl schon.

Naja, ich war ziemlich baff, als wir – ich meine jetzt Sandy und mich, die Herrscher der New Yorker Finsternis – drauf kamen, dass wir mit der Akademie ein ergiebiges Thema hatten.

Ich: der Therapeut, der sich die Geschichten aus einer diabolischen Lehranstalt mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Abscheu anhörte.

Sandy: Er erzählte und konnte das Erinnerte nicht tot trinken. Er wurde zum Jungen und zum jungen Mann, dem der Rücken gebrochen wird.

Als Akademie-Absolvent Sandy bei der Abschlussfeier den Hut in Richtung seiner Eltern warf, war er nicht der für die Gesellschaft gefestigte Kerl, dem die Welt offen stand. Er war zerrüttet, verängstigt, zu verzagt für einen Selbstmord. Er war bereit fürs Trinken.

Wir hatten gute Abende. Ich meine, es waren prächtige Gelage. Last Exit Gosse. Wir mochten uns; solange wir konnten, passten wir bei unseren Zügen durch die City aufeinander auf. Immer verloren wir uns, aber das war nicht schlimm. Jeder landete irgendwie auf den Beinen, leckte seine Wunden, irrte seiner Wege – und dann kam die Nacht, die uns wieder zueinander führte.

So würde das weiter gehen, bis der Tod ein Einsehen haben würde.

Dachten wir.

Doch dann nahm Sandys Familie die Geschichte in die Hand.

Sie zogen meinen Buddy aus dem Verkehr, steckten ihn in die Klapse. Dort hat man den wunderbaren Trinker McSowieso mit Medikamenten vollgestopft. Eineinhalb Jahre war er aus der Welt.

Dann sah ich sein Bild im Gesellschaftsteil der Zeitung. Später gab es Geschichten über Sandy im Wirtschaftsteil, er kam zur rothaarigen Frau, der Farm und dem Jet.

Fett war er geworden, seine Bewegungen hatten eine bizarre Langsamkeit. Sandys Sprache war wie ein Brei – als hätte er zuviel Kaugummi im Mund.

Er hatte nichts zu sagen und nichts zu lachen.

Sogar im Fernsehen habe ich ihn dann entdeckt. Eine aufgedonnerte Schickse interviewte ihn. Ich hockte am Tresen und stierte auf den kleinen Bildschirm. „“Den kenn‘ ich“, habe ich gemurmelt. „Ehrlich“, fragte der Freund an den Getränken und wienerte weiter an den Gläsern. „Dass Du so einen kennst! Das ist doch ein Arschloch.“

„Früher war er anders.“

„Muss aber schon eine Weile her sein.“

„Auf alle Fälle. Vielleicht bilde ich es mir bloß ein. Kann ich noch einen haben?“

Der Freund hinterm Tresen schenkte nach – und ich dachte an die Geschichten des Sandy McSowieso aus der Academy.

Morgen: Sandy erzählt