DOBIAS

19. märz 2017             ——–                DER NEUE, Tag 59

New York, 1980

 

Ich habe Mister Dobias kennen gelernt, als er meine Eltern besuchte. Da hatte sich Donald schon ziemlich gut eingelebt in der Akademie. Der Besuch des Mister Dobias war eine Einladung, weil sich mein Vater bei dem Mann dafür bedanken wollte, dass er seinen Sohn zähmte.

Er hatte für den Mann, über den er sich kundig gemacht hatte, ein kleines Präsent für dessen Waffensammlung besorgen lassen. Eine Springfield von 1858, Kaliber 57. Konischer Rundlauf mit achteckiger Kammer, gestempelt 1858 V und P und Adlerkopf. Visier bis 800 Yards. Schloss mit Maynard Tape-Primermagazin, Klappdeckel mit US-Adler. Gemaserter Nussbaumschaft, Kolbenkappe mit US-Stempel. 142,5 Zentimeter lang. Dazu gab es ein Orginalbajonett mit US-Stempel. Die Roststellen im Inneren des Laufs und die Rostpünktchen zwischen Kammer und Visierung hatte ein Experte entfernt, die Waffe war auf Hochglanz poliert und am Schießstand perfekt eingeschossen worden.

Mister Dobias freute sich sehr. Er verstand sich auf Anhieb prächtig mit meinem Vater. Als Donald sich zu den Männern in die Bibliothek gesellen wollte, sagt Dobias: „Donnie, raus. Das hier ist nichts für Dich.“

Ich durfte bleiben – schließlich war ich schon an der Uni und hatte mit der Akademie nichts zu tun.

Dobias war klein und geschwätzig. Er erzählte aus dem Krieg und von der Akademie, direkt gemütlich war er, wie er so in dem Ohrensessel steckte, eine Zigarre rauchte und am Whiskey nippte.

Das sollte der gefürchtete „Maje“ sein? Der Donald und seinen Kameraden so zusetzte, dass ihnen „das Wasser im Arsch kochte“?

Ich konnte es mir kaum vorstellen.

 

 

Dann hörte ich Sandys Erzählungen. Und Dobias wuchs sich zum Monster aus.

„Der war nicht klein – auf seine Art. Der hat sich vor Dir aufgebaut, und selbst wenn Du größer warst als er, war er der Riese.“

Sandy MacSowieso hatte der Ausbilder auf dem Kieker. Der Junge machte sein Bett nachlässig. Er las zu viele Bücher, die man nicht gern sah auf der Akademie. Sandy widersprach, er hörte nicht zu, er brüllte kein begeistertes „Jep, Maje“.

Außerdem war Sandy ein Weichei. Der würde nie der große Sieger, den Dobias formen wollte. Dem konnte man nicht auf den Weg geben, dass Gewinnen der Sinn des Lebens sei. Für Luschen wie Sandy hatte Dobias das Motto des Mittelmaßes parat.

„Wenn der Große Killer Dich auf die Liste nimmt, dann fragt er Dich, ob Du Deinen Job gut gemacht hast. Du bist kein Guter, Junge, Du hast es nicht drauf. Dich fragt der Große Killer nicht, ob Du Deine Kämpfe gewonnen oder verloren hast. Von Dir will er wissen, ob Du das Spiel ordentlich gespielt hast. Was? Du willst wissen, was der Große Killer von den Guten wissen will, wenn sie mal abtreten? Das kann ich Dir sagen. Sieh den Donnie an: Der wird am Ende nur gefragt, ob er gewonnen hat. Etwas anderes als Siege gibt es für solche Jungs nicht.“

Sandy sagte: „Er hat mir keine Chance gegeben. Beim Judo hat er mir die Schulter ausgekugelt und danach gelacht. ,MacSowieso, du bist gemacht für Schmerzen, gewöhn‘ Dich dran.“ Mal habe ich in Latein eine ziemlich gute Arbeit geschrieben, ich hatte ein echt prima Gefühl. Zwei Tage nach der Prüfung hieß es, ich solle zum Dobias kommen. Ich dachte, jetzt bekomme ich ausnahmsweise mal ein Lob. Bin bei ihm ins Büro – da hingen an der Wand Waffen und Landkarten mit Pfeilen von Truppenbewegungen und ein paar Präsidenten und Buffalo Bill. Er sitzt hinter seinem großen Tisch und spielt mit einem Lineal. ,Muss Dir was sagen, MacSowieso. Dein Vater ist heute gestorben. Beerdigung ist in vier Tagen, da hast Du natürlich frei. Du kannst jetzt telefonieren, aber mache es kurz.‘ Ich drehte mich um, war wie ausgeknockt. ,Hör zu, MacSowieso, es hilft keinem, wenn Du jetzt flennst. Nimm es wie ein Mann.‘

An dem Abend hat Dein Bruder meinen Tischdienst beim Abendessen übernommen. Und er hat dem Dobias gesagt, dass er es in Ordnung findet, dass ich auf dem Zimmer geblieben war. Das hat der Dobias dann geschluckt.“

 

Die Geschichte kannte ich nicht, als Mister Dobias bei uns zu Besuch war. Ich habe da einen Mann gesehen, der nur vom Weltkrieg geredet hat. Wie er dem Feind ordentlich eins auf den Pelz gebrannt hat.

„Du bist also Donnies älterer Bruder“, fragte er mich. Ich nickte.

„Stolz kannst Du auf den Donnie sein. Aus dem wird mal ein ganz Großer. Toller Sportler, harter Kämpfer. Gewinnt fast alle Wettbewerbe bei uns. Der Junge ist ein Beispiel für alle Anderen.“

Mann, waren Mom und Dad stolz. Mich widerte der Typ an. Fast 20 Jahre später würde ich ihm noch einmal begegnen – und wieder fand ich ihn grauenhaft.

Morgen: Wiedersehen mit Mister Dobias