FLIEGER ZUR SONNE

uckermark, 14. april 2015

Ulf und Marta haben’s nicht mit der Zuverlässigkeit. “Besorgniserregend” ist in den Augen des Wissenschaftlers Bernd-Ulrich Meyburg ihr Reiseverhalten. “So kommen sie auf keinen Fall pünktlich zurück nach Deutschland.” Er erwartet Ulf und Marta frühestens Anfang Mai in der Heimat zurück. Dann ist es zu spät zum Turteln und zum Brüten – und das war’s dann in diesem Jahr mit dem Nachwuchs. Es ist zum Federn-Ausreißen. Diese zwei Schreiadler machen einen noch ganz wuschig.

Da haben die Wissenschaftler ihnen Sender angeheftet – und müssen nun ohnmächtig beobachten, wie wechseleweise Ulf und dann wieder Marta in den weiten Afrikas vom Schirm verschwinden. Vor zwei Wochen hieß es “Kein Zeichen von Ulf”. Der sendet zwar nach der Funkstille endlich wieder, dafür spielt aber nun Marta “Toter Adler”. Während ihr Gefährte auf der üblichen Route für den Frühjahrszug Äthiopien und Eritrea überflogen und den Sudan in der Nähe des Roten Meeres erreicht hat und in Küstennähe weiter nördlich zieht, treibt sich Marta wo-auch-immer rum.

In Uganda und dem Südsudan haben die Schreiadler für längere Zeit aufgehalten und Nahrung gesucht. Dabei haben sie ziemlich getrödelt, nölen die Wissenschaftler. “Es ist eine absolute Ausnahme, dass die Schreiadler auf dem Frühjahrszug so lange dort bleiben”, sagt Greifvogel-Experte Meyburg. Er geht davon aus, dass es in den Überwinterungsgebieten der meisten Adler im südlichen Afrika zu trocken war, und sie deshalb die Rast in Uganda und dem Südsudan eingelegt haben.

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In Erregung schreit er zwei- bis dreimal kräftig „tjück“, das hört sich auch wie „jück“ oder „jüb“ an. Beim Balzflug pfeift das Männchen „wiiik“. Die Rufe der Jungvögel ähneln bereits im Alter von etwa 20 Tagen weitgehend denen der erwachsenen Tiere.

Eine lange Reise ist das jedesmal, Deutschland-südliches Afrika und retour. Die meisten Adler segelten am 1. Oktober 2014 in der Nähe von Tel Aviv vorbei – 22248 wurden gezählt. An diesem Tag herrscht traditionell der meiste Schreiadler-Luftverkehr in der Gegend. Marta und Ulf, die Spätstarter aus der Uckermark, waren da noch in der Türkei. Sie erreichten Israel wenige Tage später.

Im Herbst also zogen sie fast geradlinig vom ägyptischen Suez bis an die Grenze Ugandas, begünstigt durch Rückenwind. Im Frühjahr wählen die Vögel nicht den geraden Weg durch die Sahara, sondern fliegen am Rande von Gebirgszügen entlang der Grenze des Süd-Sudan und Äthiopiens und quer durch Eritrea zum Roten Meer. Im Frühjahr finden sie dort an den Berghängen günstige Aufwinde. „Wie andere Greifvögel orientieren sie sich beim Zug am Magnetfeld der Erde, aber sie navigieren auch entlang markanter Landmarken wie Gebirgsketten und Küstenlinien“, sagt Vogel-Fachfrau Andrea Kinser. Dabei ist der Frühjahrszug in die Brutgebiete auch wegen der Wilderei nicht ungefährlich: In den Ländern des Nahen Ostens und der Türkei gilt es trotz internationaler Schutzabkommen noch immer als Statussymbol, einen Greifvogel zu erlegen.

Im Winter haben sich die Adler übrigens nicht auf die faule Feder gelegt. Ein Exemplar segelt beispielshalber in Sambia über ein 25.000 Quadratkilometer großes Areal, ein über mehrere Jahre untersuchter slowakischer Adler suchte in jedem Winter andere Gebiete in den Ländern Simbabwe, Mosambik und Südafrika auf und legte dabei in zwei Wintern Entfernungen von 2269 und 1919 Kilometer zurück.

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Hat überlebt, der Süße. Zwei kleine Schreiadler schlüpfen – das Erstgeborene hackt in der Regel den Nachkömmling tot. Das ist Natur pur.

 

Nun geht es also nach Hause. Dort wird gebrütet, den Tieren machen intensive Land- und Forstwirtschaft und zunehmend Störungen durch Windenergieanlagen zu schaffen.

Es ist nicht gerade das Paradies auf Erden, doch was soll’s? Zurück in der Uckermark wird Ulf sich in die Luft schrauben und den Adlerinnen den perfekten “Girlandenflug” vorführen.

Die Vogelschützer werden dann gerührt zusehen. Und die Martas, die die lange Reise aus Afrika in die Mark überstanden haben, werden gnädig mit Ulf sein.

Hoffen wir mal, dass die richtige Marta unter ihnen ist. Ihre letzten Daten hat sie Ende März gefunkt. Da war sie noch in Uganda.