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TANZ DER VIREN II, Folge 101

Letzter Samstag im Mai. Drei Patienten auf der Geschlossenen in Haar stecken die Köpfe zusammen. Sie haben sich in den hintersten Winkel des schmuddligen Balkons verdrückt. Der Betonboden ist seit Jahren nicht geschrubbt, die Plastikstühle haben kleine schwarze Schimmelpunkte, da mag sich nicht mal ein Irrer drauf setzen. Hinter den hohen Buchen im parkähnlichen Gelände spitzt der Kirchenturm in den Himmel (das Wetter wird jetzt endlich besser, der Mai war grauslig), es schlägt gerade zehn Uhr vormittags.

Die Menschen von der Station zieht es normalerweise nicht auf den Balkon. Quarzen ist im Raucherzimmer effektiver, da steht das Nikotin in der Luft.

Und umbringen kannst Dich auch nicht. Der Balkon ist mit einem Gitter gesichert.

Aber jetzt stehen unsere Drei hinten im Eck und wollen unter sich sein.

Unsere Drei?

Ja.

Der Franz fehlt.

LINA: Ob wir es auch haben?

JOSEF: Ob wir’s haben, ob wir’s haben? Ist das nicht sowas von wurscht?

LINA: Mir nicht. Ich will’s nicht haben.

JEREMY: Ich auch nicht, eigentlich. Bis jetzt habe ich mir gedacht, das ist eine große Scheiße, dass sie mich hier festhalten. Aber ein Gutes hat es: Ich kann es nicht kriegen. War ja wohl falsch gedacht. Wenn es der Franz hat, dann ist es auch auf der Station.

JOSEF: Das hat der sich sicher bei seinem Ausgang geholt. Was muss der auch in der Weltgeschichte rum rennen?

LINA: Das nützt doch auch nichts, Josef. Es ist, wie es ist. Ich habe gesehen, wie sie ihn geholt haben. Ich glaube, sie haben ihn auf Intensiv gebracht.

JEREMY: Mit Sicherheit. Aber ich glaube nicht, dass er es schafft. Der Franz hat ja nur noch gelebt, weil sie ihm Sauerstoff gegeben haben. Vielleicht lebt er schon nicht mehr. Man kriegt ja nix mit, hier.

LINA: Ach.

Sie beginnt zu weinen.

JOSEF: Hör auf, Lina. Das hilft nichts.

JEREMY: Nein.

LINA (schnieft): Nein.

JOSEF: Und. Was machma jetzt?

JEREMY (mit Verschwörerstimme): Ich wüsst‘ da was.

LINA: Ja?

JOSEF: Wie?

JEREMY: Ist eh schon wurscht. Wir werden krank, wir werden nicht krank – egal. Wenn’s passiert, dann brauchen wir uns um nichts mehr kümmern. Ich hab‘ noch Reserven. Gute Pillen in den Blumen. Und ich habe…

Er macht eine große dramatische Pause.

JEREMY: Und ich habe eine Flasche Wodka. Originalverpackt, direkt ab Werk.

LINA: Wie das? Wo?

JEREMY: Betriebsgeheimnis. Also, was ist? Wir treffen uns bei mir. Wenn ihr noch was in den Blumen findet, bringt Ihr es mit.

JOSEF: Bin dabei. Euch ist schon klar, dass wir erwischt werden?

LINA: Ist mir egal. Vielleicht ist es besser so.

JEREMY: Genau. Auf geht’s.

© BILDKUNST JOHANNES TAUBERT