DIE MÜLL-MÄNNER

niedermoschel und rest-republik, 25. märz 2015
Gestern feierte RTL II: Die fünfhundertste Folge des “Trödeltrupps” ging über den Sender, und – so die Sprachregelung der Öffentlichkeitsabteilung – alle waren zufrieden. Die Trödler, die Macher, die geretteten Müll-Opfer, die Zuschauer. “Voller Erfolg” nennt sich das dann bei RTL II. Echt? Ein Erfolg? Oder nur den Mund voll genommen?

Niedermoschel am Tag nach der Sendung. Man möchte am Telefon nicht mehr drüber reden. Man möchte eigentlich alles ungeschehen machen. Kein Besuch der “Retter”, kein Kamerateam, kein Flohmarkt, keine Händler, die im Dorf rum gelungert sind.

Man hätte es gern wie vor dem “Trödeltrupp”. Wie schön kann Niedermoschel sein:

Erste urkundliche Erwähnung im Jahr 1362. Zunächst zur Grafschaft Veldenz gehörig, nach dem Tod von Friedrich III. 1444 gehörte der Ort zu Pfalz-Zweibrücken. Im Anschluss an die Französische Revolution war Niedermoschel Teil vom Departement Donnersberg. 1816 wurde es bayerisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Niedermoschel Teil des neu gebildeten Landes Rheinland-Pfalz. Heute ist besonders empfehlenswert der Niedermoscheler Hahnhölle Grauburgunder, trocken und erdverbunden.

So hätte man es gern in Niedermoschel. Aber der “Trödeltrupp” ist da gewesen. Und diese Klein-Armee von RTL II hinterlässt ihre Spuren. Angeblich retten die drei Musketiere. Aber sie agieren notfalls auch nach dem Prinzip der verbrannten Erde. Hauptsache, die Quote stimmt.

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Müll? Geil!

 

Im besten der Fälle liest sich das dann in der Lokalpresse wie nach einem Besuch im hessischen Kaltenholzhausen:

“Fast der gesamte Ort war am Sonntagmorgen zugeparkt. Nach dem Grundsatz ,Nur der frühe Vogel fängt den Wurm’ drängelten sich vor allem in der Kirberger Straße Fahrzeuge, deren Kennzeichen verrieten, dass den Interessenten am Haus-Flohmarkt des RTL II-Trödeltrupps kein Weg zu weit war, auch bei regnerischem Wetter anzureisen. Doch nicht nur die Jagd nach ,etwas Brauchbarem’ (und manchmal auch Überflüssigem) für billig Geld, lockte die Besucher auf das rund 1200 Quadratmeter großen Anwesen mitten im alten Ortskern.

Der große Andrang hatte vor allem eine ganz andere Ursache: Die vermeintlichen Schnäppchenjäger wollten in erster Linie einen Blick auf die Trödelprofis vom TV werfen. Schon am vergangenen Freitag waren Otto Schulte, Mauro Corradino und Sükrü Pehlivan samt Filmteam nach Kaltenholzhausen gekommen, um den Hausbesitzern, die bereits seit einem Jahr nicht mehr in Kaltenholzhausen wohnen, dabei zu helfen, dem Plunder Herr zu werden, ihn zu sortieren, zu entsorgen – und einen Großteil noch zu Geld zu machen.”

So eine freundliche Übernahme durch den “Trupp” kann aber auch aus dem Ruder laufen. So geschehen in Schweinfurt:

“Zu Beginn des Drehs waren die Leute vom Fernsehen für Jens Weber und seine Lebensgefährtin noch Verbündete gewesen. Weber hat das Umzugsunternehmen seines Vaters übernommen und will ins elterliche Haus ziehen. Dort waren aber Keller und Lkw-Werkstatt vollgestellt mit Gerümpel aus Haushaltsauflösungen, von dem sich Elisabeth Weber nicht so einfach trennen wollte.

Die Reality-Show sollte Abhilfe schaffen. Das zumindest hat funktioniert: Heute ist die Werkstatt zu Dreiviertel leer, und im Keller ist auch wieder Platz. Das Fernsehteam hat sich indes während der Dreharbeiten unbeliebt gemacht. Und das Ergebnis, ausgebreitet auf eine Stunde Sendezeit bei RTL II, macht es auch nicht besser.

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Ein Scherbengericht, alles in Trümmern, keine Hoffnung in Sicht? Super!

 

Die Sendung zeigt einen Konflikt, zwei Pole: Auf der einen Seite Elisabeth Weber, die am Trödel hängt und ihn zu teuer verkaufen will – wenn überhaupt. Auf der anderen Seite Jens Weber und Diana Kremer, die unter der Sammelwut leiden und Klarschiff machen wollen. Damit auch wirklich jeder diesen Gegensatz versteht, wird heftig dramatisiert.

Elisabeth Weber kommt dabei besonders schlecht weg. Sie ist die böse Hexe. Wenn sie auftaucht, zoomt die Kamera ruckartig auf sie zu, im Hintergrund singt düster ein Männerchor, ihr ernstes Gesicht flimmert für lange Sekunden fast bewegungslos über den Bildschirm. Und selbst wenn sie lächelt, dann tut sie das laut Sprecher nur, um zu überspielen, dass sie innerlich kocht. Die Truppe ,arbeitet mit allen Mitteln’, sagt einer.

Die Fronten haben sich seit dem Dreh verändert, jetzt heißt es: Familie Weber und Diana Kremer zusammen gegen den Trödeltrupp. Jens Weber regt sich richtig auf, als er sieht, wie TV-Mann Pehlivan den Wert zweier alter Bierkrüge auf acht Euro schätzt und Elisabeth Webers Preis als lächerlich hoch darstellt. Der Trödelhändler, bei dem sie später waren, habe 35 Euro dafür bekommen, erzählt Weber.“

Die Berichterstatter im Lokalen, die Beobachter und die Betroffen sind immer wieder bestürzt, wie rau sich die TV-Wirklichkeit anfühlt. Die Zuschauer ihrerseits fühlen sich bestens bedient. Der “Trödeltrupp” befriedigt den Voyeurismus, er handelt von Gier und Niederlage und menschlichem Elend, er erzählt die Geschichten der deutschen Hartz-IV-“Rockys”. Auferstanden aus Müllhalden. Müllhalden, die bei fast jedem von uns wachsen. Wie ein Geschwür, das anfänglich nicht schmerzt…

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Die Zukunft ist zwischen den Fingern zerronnen? So soll es sein!

 

Dabei könnten sie morgen auch bei Dir oder bei mir vor der Tür stehen und retten wollen!

Jeder von uns hortet Trödel und Krimskrams im Wert von 1040 Euro. Das fand Katharina Klausberger in einer Studie heraus – befragt wurden die Betreiber von 1000 Haushalten.

Klausberger hat ein reges Interesse an der eigenen Studie – sie ist Entwicklerin einer Trödel-App, mit der Benutzer ihr unbrauchbares Zeug im Internet verkaufen können. “Neben Kleidung verkaufen sich auch noch andere Dinge gut, wie zum Beispiel Spiele oder auch Elektronikprodukte, die zu Hause liegen, für die man keine Verwendung mehr hat. Aber auch bis hin zu Möbeln.”

Wo ist da der Erkenntnisgewinn werden da die Hauptdarsteller des “Trödeltrupps” fragen. Lächelnd ziehen sie eine kleine Schneise der Häme durch die deutschen Wohnzimmer. Nur manchmal wehrt sich der Mensch am Fernsehgerät. Im Internet jault zum Beispiel “sigruna” auf:

“Ich kann noch nicht mal mehr den Kopf schütteln, wenn ich mir anschaue, wie manche Sachen einfach verramscht werden – oder einer des Trödeltruppteams sich anmaßt, wirklich schöne alte wertvolle Gegenstände als Ramsch zu bezeichnen. Ich denke nicht, dass einer der Herren die Ausbildung hat, wirkliche Schätze erkennen zu können, dazu hätten sie Kunstgeschichte oder ähnliches studieren müssen.”

Ach was, sigruna! Kunstgeschichte hilft bei RTL II niemandem. Wenn Du da Quote machen willst, musst Du schon mehr drauf haben.

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Mit Geld spielt man nicht. Außer man ist “Trödler” – dann ist alles ein rasend witziges Spiel. “Game over” erst, wenn der Abspann läuft.

 

Morgen: Raus damit! Wenn die Deutschen sich weg schmeißen…