WEG DAMIT!

berlin, 26. märz 2015

Beim “Trödel-Trupp” heißt es: Hopp oder topp! Entweder schmeißen die Jungs den Kram auf den Müll oder sie verschachern ihn meistbietend. Niemand stellt sich ihnen in den Weg, sie schaffen das Zeug einfach aus der Welt. Sie sind die freundlichen Aparatschiks einer ganz neuen rigorosen Wegwerfgesellschaft. Wer sich mit ihrer Philosophie beschäftigt, sollte sich warm anziehen.

Der Betreiber der Schöneberger “Bücherhalle” liebt, was er tut. Wenn er die Auslage allsamstäglich neu dekoriert, tut er das mit Bedacht und Hintersinn. Er weiß, dass er damit vielen Passanten in der kommenden Woche eine kleine Freude des Alltags bereitet. Sie werden vor einem der drei großen Fenster sinnend stehen bleiben und ein Weilchen in der Welt der Buchstaben und Bilder verharren. Sie werden denken und sich erinnern und eine gute Zeit haben.

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Alles hatte mal seinen Wert. Alles war mal echt heiße Ware. FOTOS: BARBARA VOLKMER

 

Jetzt steht der Chef der “Bücherhalle” hinter seiner Kasse und wiegt einen schweren Band in den Händen. “Das ist ein schönes Stück”, sagt er, und der Schalk blitzt im Auge. “Ars Erotica” – die im Auftrag reicher Gönner und anonymer Verleger Werke der großen Kupferstecher des 18. Jahrhunderts, von denen der Verlag schwärmt: “Sie haben eine weltweite Schar von Liebhabern gefunden, die die Werkes als das sehen, was sie sind und was sie sein wollen: die bildliche Darstellung der Wollust, gesehen durch das Auge des Künstlers.”

Da können die Internet-Schmuddler einpacken!

Der Chef der “Bücherhalle” stemmt die “Ars erotica” und sagt: “Wissen Sie, das ist ein Trauerspiel. Das Buch hat mal 200 Mark gekostet.”

Und jetzt?

“Für siebenEurofünfzig gehört es Ihnen.”

Gekauft.

So profitiert in diesem Fall ein Schöneberger Erotomane von einem Phänomen, das die Freunde kulturellen Miteinanders mehr und mehr irritiert:

Die Dinge verlieren ihren Wert.

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Wenn ein echter Sammler “brannte”, gingen die Lichter an.

 

Das hat auch die “FAZ” erkannt und macht es an Zahlen fest:

“Mögen die Antiquitäten vor Jahren auch einmal richtig viel Geld gekostet haben – wollen die Anleger die guten Stücke von damals heute verkaufen, werden sie häufig nur noch einen Bruchteil des einstigen Preises dafür erzielen.” Ein Sachverständiger erzählt von der Vita einer Bergischen Aufsatzvitrine, die vor rund 20 Jahren 30.000 Mark gekostet hat und heute gerade mal ein Fünftel bringt. Das entspricht einem jährlichen Wertverlust von rund acht Prozent.

In der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” trauert der Autor um den Wertverlust der Briefmarke. Er beschreibt die Leidensgeschichte eines Kölners, der sein Vermögen “Jahrzehnte lang in Briefmarken und Münzen investiert“ hatte. Aber: „Der Plan ging schief.”

Aus mehreren tausend Mark Investition ist seit den 1980er Jahren eine Sammlung entstanden, die sich heute für 20 Euro bei Ebay versteigern lässt. “Es ist nicht unüblich, dass gerade modernes Briefmarkenmaterial, für das ein Sammler mehrere tausend D-Mark ausgegeben hat, heute nur noch für einen Bruchteil des Anschaffungspreises über den Tisch geht”, wird der Pressesprecher des Verbands der Philatelisten zitiert. Auch Münzen sind wenig werthaltig. Eine Sammlung zum ursprünglichen Wert von 3000 Euro ließ sich rund 18 Jahre später für nur noch 180 Euro verkaufen – ein jährlicher Wertverlust von rund 14 Prozent.

Werthaltigkeit in der Konsumgesellschaft? Da ist es zappenduster geworden.

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Da glommen die Siebziger Jahre auf, das Herz wurde warm. Jugenträume, am Leben erhalten…

 

Natürlich gibt es die Ausnahmen. Zum Beispiel das hundertjährige Licht der kalifornischen Kleinstadt Livermore mit der am längsten brennenden Glühlampe der Welt. Die brennt seit Juni 1901). 114 Jahre! Mehr als eine Million Betriebsstunden! In dieser Zeit machen 60 Handys, 20 Flachbildschirme, 25 Autos und zehn Waschmaschinen die Biege.

Solche Zahlen kommuniziert eine Studie des Bundesumweltamtes über die “Erstnutzungsdauer” von Elektronikprodukten. Der Kunde kauft und wirft weg, kauft und wirft weg, kauft und wirft weg. Er will immer das Neueste, Bunteste, Teuerste.

Weg geschmissen wird auch, was noch funktioniert. 60 Prozent der Flachbildschirme landen auf dem Müll, obwohl sie noch wunderbare Bilder liefern. Aber sie sind nun mal nicht mehr der dernier cri.

Und dann ist da die Sache mit der geplanten Oboleszenz:

Die Lebensdauer eines Produkts wird künstlich begrenzt. Der Kunde muss kaufen, weil er keine andere Wahl hat, es sei denn, der Konsumverzicht ist für ihn eine Alternative.

Und Verbrauch soll schon sein. So hat denn alles und jeder seine Berechtigung: die Erfinder des Ständig Neuen, die Verkäufer des letzten Schreis, die Entwickler der Sollbruchstellen und die Entsorger aus dem “Trödel-Trupp”.

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Da wurde Blech zum Liebhaber-Stück. Doch die Zeiten ändern sich. Der Trödel wird einfach abserviert.

 

Sogar die Warner in der Wegwerf-Wüste kommen zu Gehör. Erik Poppe schreibt 2014 in “Reparaturpolitik in Deutschland. Zwischen Produktverschleiß und Ersatzteilnot”: “In Hinblick auf die strukturelle Entwicklung zeigt sich ein schrumpfender Reparaturmarkt, steigende technische und wirtschaftliche Anforderung an die Reparatur von insbesondere Elektronikartikeln sowie eine Verkürzung der Nutzungsdauer durch funktionelle und psychologische Obsoleszenzen. Das Ergebnis ist ein nachlassendes Reparaturinteresse seitens der Verbraucher, welches mit einer erhöhten Wegwerfneigung einhergeht. Die Wegwerfkultur bleibt gesellschaftspolitisch jedoch nicht folgenlos.”

Ja, genau, murmeln die Trödler der Nation. Genauso, wie der Poppe das sieht, ist es. Ein ganzes Buch hat er drüber geschrieben. Respekt! Ab damit in den Container – da ist noch Platz.