DIE HÖHLE

„D 2017“*, Folge 39. 26. Oktober. Der Föhn ist zusammen gebrochen.

 

Ist kein großes Ding, den Teufelstättkopf zu besteigen. Knapp unterm Gipfel wird’s ein bisschen felsig, doch Krohn muss nicht mal die Hände zu Hilfe nehmen.

Dann sitzt er oben und wundert sich über den Schwermut, der ihm unerwartet in die Seele gekrochen ist. Es war doch alles okay, der Tag ist gelungen, die Zuversicht hatte ihn fast übermütig gestimmt.

Und dann:

Schritt für Schritt:

Die Courage ging flöten.

Machte vager Verzagtheit Platz.

Krohn war besorgt, beunruhigt, heimgesucht.

Er wusste nicht, was das war. Er murmelte „Scheiße!“ und wusste nicht, warum.

 

Warum er nicht auf dem gleichen Weg absteigt, wie er gekommen ist? Was ihn auf den zugewachsenen Jägersteig führt, den kaum jemand betritt, weil der steile Fels hier so brüchig ist?

Er könnte es nicht erklären. Er tut es einfach. Noch ein zager Schritt und noch einer. Nach einer Weile quert er eine kühne Flanke und denkt, nun wird die Angelegenheit pikant, echt gefährlich ist das jetzt.

Hans Krohn sieht nach unten. Fast senkrecht ist der Berg, unter den Schuhen hat Krohn 40, 50 Meter Luft. Er gibt sich Mühe, schnell zu einem sicheren Stand zu kommen. Schnaufend bedenkt er seine Situation.

Er kennt diesen Steig nicht. Vielleicht sollte er absteigen – bis zu dem Pfad, den die Bergsteiger benutzen. Langsam klettert er in die Tiefe. Er muss sich sehr konzentrieren, ist froh, als er endlich auf vertrautem Terrain ist.

 

Dann weiß er es:

Warum ihm übel ist, was seinen Magen umstülpt. Woher der Kleinmut kommt, die Furcht, das Herzjagen.

Dann weiß er es.

 

Dann steht er vor der Höhle.

 

Wer es nicht weiß, wird nicht erkennen, dass hier eine Höhle im Berg ist. Vor einem Vierteljahrhundert haben die Bergwachtler alles doppelt zugemauert, mittlerweile ist alles verwachsen und sieht aus wie der Fels ringsum.

Aber hier ist es.

Hans Krohn kratzt am Moos, ja, da sind die Mauersteine.

Er untersucht den Boden. Kaum Spuren von Menschen – und die wenigen sind ziemlich alt. Der verschlossene Höhleneingang wird bald überhaupt nicht mehr auszumachen sein.

 

Krohn erinnert sich. Er war noch nicht mal 20, als die Freunde von der Bergwacht fragten, ob er bei der Aktion am Teufelstättkopf helfen wolle.

Logisch, hat er gesagt und gedacht, das werde schon eine zünftige Gaudi werden. Tagsüber einen Sack Zement auf den Berg schleppen, eine kleine Mauer bauen – und abends auf dem Pürschling die Sau raus lassen.

 

Part eins lief nach Plan. Sie schufteten sich mit den Ziegeln, dem Zement, dem Sand und dem Wasser ab. Das Bauen war keine Kunst, aber grauslig heiß war es an dem Tag, so kamen alle rechtschaffen ins Schwitzen. Man redete nicht viel bei der Arbeit. Danach stieg man ab zum Pürschling. Der Wirt wartete schon. Es gab Freibier, und der Wirt fragte: „Was is jetzt? Gibt’s an Geist?“

Konnte man nicht sagen. Da müsste man schon um Mitternacht nachsehen, sagte einer.

Nein das wollten sie nicht. Um Mitternacht wollten sie feiern. Zünftig, wie es sich gehört-

Fein, freute sich Hans Krohn. Er büffelte gerade fürs Abitur und konnte Abwechslung gut gebrauchen.

 

Doch Hans Krohn war zu sensibel für den Hüttenabend nach dem Mauerbau. Denn die Spezl malten sich nun genüsslich aus, warum sich der Martl da oben ins Maul geschossen hatte. Wie er das alles gemacht hatte. Wie es wohl gestunken haben muss.

Und solche Sachen.

 

*“D2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.