TODESKAMPF

sommer zwanzichfuffzehn V

“Nochmal, für den Fall, dass Du schlecht hörst: Was suchst Du hier auf meinem Grund?”

Der alte Mann ließ nicht mit sich spaßen. Hans Krohn sah ihm in die Augen – sie waren wässrig blau, rot geädert, unter dem rechten wölbte sich eine purpurdunkle Warze. Er nehme gerade eine Auszeit vom Stadtleben, lasse sich so über Land treiben. Journalist und Schriftsteller sei er, und unterwegs fotografiere er, was ihn interessiere. “Und Ihre alten Fahrzeuge erzählen von Zeiten, die uns gerade verloren gehen. Habe gedacht, dass ich vielleicht was darüber schreibe.”

“Dann biste sowas wie der Strittmatter. Der hat hier in der Nähe gewohnt.”

Der Strittmatter? Krohn dachte nach. Die Sorge war weg. Der Typ sah wild aus, aber er hatte Strittmatter im Kopf. Konnte so schlimm nicht sein.

“Ja, kann man so sagen. Der Vergleich gefällt mir. Ja, Strittmatter ist gut.”

Sie lächelten. Krohn erleichtert, der Andere lauernd.

“Eugen heiße ich. Matuschke. Familie kommt aus Ostpreussen.”

Seit wann denn  die Matuschkes auf diesem Hof leben?

“Ich bin hier geboren. Der Vater hat den Hof nach dem Krieg übernommen. Die Familie ist nachgekommen. Ich bin Jahrgang ’48. Willste mehr wissen?”

Ja, gerne.

Dann solle er warten, erklärte Eugen Matuschke. Er wolle sich was zu trinken holen. Außerdem müsse er nach seinem Freund oben sehen. “Der ist nicht mehr gut auf den Beinen. Wir kommen gleich runter. Dauert ‘nen Augenblick.”

Matuschke verschwand durch die Stalltür im Hof.

Hans Krohn setzte sich auf einem der riesigen Trekker-Reifen, holte das Radio aus dem Rucksack und schaltete ein. Nachrichten.

Merkel erklärt, ihr ist es ernst mit den Griechen. Tsipras, dieser Gauner, wird eventuell zurück treten.

40 Prozent weniger Aids-Tote.

Schweinsteiger will es bei Manchester nochmal wissen.

Wolf Gremm ist tot.

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Nicht ohne den Anderen: Regina Ziegler und Wolf Gremm.

Krohn erschrak. Wolf Gremm tot? Wie scheiße war das denn? Wann hatten sie telefoniert? Vor zwei Monaten war das wohl gewesen. Klar, Gremm hatte gesagt, momentan gehe es ihm nicht so toll – aber er hätte schon ganz andere Krisen überstanden. Er freue sich darauf, dass die Kraft wieder kommen werde. Dann könne er endlich den Film über seinen verdammten Krebs fertig schneiden und die Musik einarbeiten.

“Wird ein guter Film”, hatte Gremm gesagt. “Ich habe Dir doch die erste Fassung geschickt. Wie findest Du es?”

Klasse, hatte Krohn gesagt und dabei nicht gelogen. Als er die Schnittfassung gesehen hatte, war er an diesem Tag nicht mehr aus dem Haus gegangen. Manchmal rutschte Gremm ins Kitschige, Weinerliche ab – aber er hatte lakonische Szenen von atemnehmender Wucht festgehalten. Sie zeigten einen Mann, der um sein Leben kämpft, der noch nicht bereit für sein Ende.  Der das Leiden der Therapie annimmt und der vor Freude über kleine Erfolge fast birst. Der träumerisch aufs Mittelmeer blickt und erklärt, da werde noch viel Schönes kommen, und das werde er mitnehmen.

Zum Teufel noch einmal.

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Immer nach vorne gucken – Brigitte Mira und Wolf Gremm gehen’s an.

Krohn hatte Gremm im Februar auf einer Party getroffen. Da trug der Filmemacher einen blauen Blazer mit buntem Taschentuch in der Brusttasche, ein buntes, frohes, weit aufgeknöpftes Hemd. Er war munter gewesen, lang geblieben und hatte oft die Hand seiner Frau gehalten.

Man hatte sich über die Zukunft unterhalten. Ob Gremm mit ihm über seine Krankheit reden wolle? Klar, hatte Gremm gesagt und gelacht. “Ist ein guter Stoff. Ruf’ mich an.”

Dann hatte er zweimal absagen müssen. Eine neue Therapie. “Mit der Kraft ist es momentan nicht so weit her”, hatte Gremm gesagt. “Aber das wird schon wieder. Dann machen wir was.”

Jetzt: tot. Morgen noch einmal ein Zweispalter oder ein Dreispalter in den Feuilletons. Vielleicht würde es noch einmal für einen Aufmacher in der “Süddeutschen” oder der FAZ reichen. Dann Beerdigung. Vielleicht würde die Produzentin Regina Ziegler , Gremms Frau, den Film unter die Leute bringen, dann gäbe es noch einmal einen großen Auftritt.

Große Auftritte hatte der Gremm geliebt. Er hatte es genossen, im Windschatten von Fassbinder den wilden Mann zu geben. Er hatte sein Leben gut verkauft.

“Ich dachte, ich wäre tot.” “Tod im U-Bahn-Schacht”. “Tod oder Freiheit”. “Tödliche Liebe”. “Nur ein toter Mann ist ein guter Mann”. “Leben und Töten”. Tödliches Rendezvous”. “Die Spur führt nach Palma”.

Mit dem Wort “Tod” hatte der Filmer Gremm gern geflirtet.

Der letzte Titel – die Beobachtung des eigenen Sterbens: “Ich liebe das Leben trotzdem”.

Krohn blickte über den verfallenen Hof in der Mark Brandenburg. Wohin er sah: Tod und Sterben und Verfall.

Eugen Matuschke kam, eine Wodkaflasche in der Hand, aus der Stalltür. Hinter ihm schleppte sich ein sehr alter Mann in die Sonne. Sie bewegten sich sehr langsam auf Krohn zu. Der packte das Radio in den Rucksack.

Eigentlich war ihm nicht nach Reden. Alles war gerade ohne Worte.

Er schämte sich, weil Gremm gestorben war, ohne dass sie über das Sterben geredet hatten. Hans Krohn hatte das Gefühl, er hatte Gremm verraten.

14. juli 2015

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Klappe! Was für eine Scheiße! FOTOS: BARBARA VOLKMER