DAS PRALLE LEBEN

madrid/berlin, 9. mai 2015

Ist das geil oder ist das nicht geil? Du komplimentierst den Chapeau Claque auf den Schreibtisch. Der Foulard wird abgelegt, die Bouteille entkorkt. Du schenkst Ihr und Dir ein, rückst die aphrodisierenden Weintrauben zurecht. Ein leichter Druck auf den On-Schalter, sanft gleitet die Mouse übers Pad, klick, klick, klick – und Ihr seid in Madrid. Füße hoch, noch fünf Minuten, dann hebt sich der Vorhang des Teatro Real. Man wird Verdi geben. “La Traviata”. Und Ihr seid dabei. Mitten in Schöneberg. In der ersten Reihe, im samtverbrämten Vintage-Hausmantel. Mit dem Libretto oder so auf den Knien. Einen derartigen Opernbesuch habt Ihr noch nicht gehabt. Sowas hat es ja auch noch nicht gegeben:

OPER! WELT-PREMIERE. LIVE. IM WEB. WOW!

Es ist eine neue Erfahrung. Große Oper in den eigenen vier Wänden. Zum Auftakt überträgt The Opera Platform Verdis “La Traviata” aus dem Teatro Real in Madrid. Im Laufe des Monats Mai folgen Król Roger aus dem Royal Opera House Covent Garden, Kullervo aus der Finnish National Opera Helsinki und Valentina aus der Latvian National Opera Riga (für die, die es interessiert: Details gibt es unter www.theoperaplatform.eu).

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Ermonela Jaho wird gleich die Gläser von der Tafel fegen. Und wir sind live dabei. FOTOS: BARBARA VOLKMER

Ein Dutzend Kameras verfolgen das Geschehen auf der Bühne. Sound und Bildregie: perfekt, als ginge es um Olympische Spiele. Pausenfüller: von belehrender Leichtigkeit, mit eindrucksvollen Interviews. Informationen in drei Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch): Libretti, Auszüge, Backstage-Reportagen, Dokumentarfilme über die Berufe der Opernwelt. Jeden Monat wird mindestens eine neue Oper aus Europa online gestellt. Die Produktionen sind in sechs Sprachen untertitelt (Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch) und können sechs Monate lang on demand abgerufen werden.

“Opera Platform” – das ist ein treffliches mediales Gesamtkunstwerk. Unterstützt vom Programm “Kreatives Europa” der EU-Kommission, Partner sind der Dachverband für Opernhäuser und -festivals in Europa “Opera Europa”, ARTE und 15 europäische Opernhäuser: Belgien La Monnaie/De Munt Brüssel; Deutschland Komische Oper Berlin, Oper Stuttgart; Finnland Finnish National Opera Helsinki; Frankreich Festival d’Aix-en-Provence, Opéra national de Lyon; Großbritannien Royal Opera House Covent Garden, Welsh National Opera; Italien Teatro Regio di Torino; Lettland Latvian National Opera Riga; Niederlande Dutch National Opera Amsterdam; Norwegen Den Norske Opera og Ballett Oslo; Österreich Wiener Staatsoper; Polen Teatr Wielki Opera Naradowa Warschau; Spanien Teatro Real Madrid.

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Ein Prosit auf die Künstlerin und alle Klangkörper.

Mit der Live-Übertragung sind die Opern-Aktivisten gut im Trend. Einen Tag nach der Premiere von Madrid erscheint im Spiegel eine Aufmachergeschichte des Kulturressorts mit dem Titel “Trommeln vor der Tür”. Da heißt es: “Der Klassikbetrieb steht vor einem Umbruch: Die Bildungsbürger sterben aus, die Jungen können mit den alten Ritualen nichts mehr anfangen, die Branche setzt auf Streaming und ungewöhnliche Konzerterlebnisse.”

Na bitte, Oper live ist ja wohl recht ungewöhnlich. Und was sagen die, die das Singen haben?

Nehmen wir mal einen der ganz Großen. Zum Einen, erklärt der unvergleichliche Plácido Domingo, stehe außer Zweifel dass es immer “Oper! Oper! Oper!” heißen werde: “Die Oper ist unsterblich. Solange es Gefühle gibt und ein Verlangen nach Romantik, so lange hat auch die Oper Bestand.”

Doch dann hebt er mahnend den Finger.

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Geben Sie alles, Ermonela! Das Beste ist fürs Web gerade gut genug.

Oper live im Internet, als Public Viewing, im Fernsehen oder im Kinosaal? Schön und gut. Aber:

“Es ist nun mal nicht dasselbe. Die Musik, die Inszenierung verlieren im Film zu viel. Das ist zwar alles schön und gut, auch Opern in die Kinos zu bringen ist natürlich besser als gar nichts. Aber das Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen.”

Schlussakkord!

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Nirgends stirbt es sich dramatischer.