BÜCHER-TROST

münchen, 3. märz 2015

In der Münchner Staatsbibliothek drosseln auch die Eiligsten den Schritt, wenn sie die schweren Türen oberhalb der Aufgangstreppe passiert haben. Die Hektik der Moderne bleibt draußen auf der Ludwigstraße. Die Frauen und Männer zieht es zu den Büchern. Oder sie wollen sich durch eine kleine Ausstellung inspirieren lassen, die einem Arzt gewidmet ist, für den das Lesen das Höchste war. In der Staatsbibliothek sind Typen wie der wackere Hartmann Schedel (das ist besagter Arzt) die Lichtgestalten.

Eine junge Frau kauert in einer Nische der Halle im ersten Stock, blickt auf ihr Handy und schluchzt leise. Ein Kommilitone quert den Raum, stoppt vor der Weinenden und fragt: “Was ist mit Dir? Kann ich helfen?”

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Hartmann Schedel – der Typ hatte es drauf.

 

Nein, sagt sie, eigentlich nicht. Ihr Freund, das Arschloch, habe gerade Schluss gemacht. Per SMS. Geht’s noch? Ein paar neue Tränen…

Der Kommilitone meint, sie solle jetzt das blöde Handy mal weg stecken. Er sei gerade auf dem Weg in die Ausstellung. Kostenlos. Und geil. Hartmann Schedel. Arzt aus Nürnberg. 1440 bis 1514. Medikus. Humanist. Frauenfreund. Lebemann. Büchernarr. Wandelndes Lexikon. Autor der “Schedel’schen Weltchronik”.

Die Frau, seit einer halben Stunde SMS-Single, und ihr Studienkollege steigen in den ersten Stock und lassen sich durch die kleine Ausstellung treiben. Die Traurigkeit verschwindet aus ihrem Gesicht. “Schau mal”, sagt sie (man kann sich unterhalten, denn nur wenige Menschen verlieren sich vor den Schaukästen), “schau mal, der hat sogar einen Sprachführer geschrieben. Weißt Du, was ,Mein meister ist gewest czornig mit mir darumb das ich nicht pin gewesen untertan und dinst hafftig im hawse’ auf Italienisch heißt? Oder ;De quala cita e tu /Von welcher stat pistu? – Es son de Praga / Ich pin von Prage – de Nurembergo / von Nuremberg – de Ausporgo / von Augspurg – da Venesia / von Venedig’?”

Ist doch komisch, oder?

Die Beiden schauen lächelnd auf den Folianten, aus dem sie zitiert hat.

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Und wer’s drauf hatte, brauchte ein Wappen.

 

Ja, es ist rührend und seltsam für sie, dass sie durch ein paar scheinbar überholte Wörter gebannt werden. Sie denken auf einmal nicht mehr an Blogs und Apps und verpasste Mails. Sie werden verführt von einem, der schon lange tot ist und der nichts hatte als seine Medizinkunst, seine Frauen und seine Bücher.

Er hat, wenn es sein musste, die größten Bücher seiner Zeit abgeschrieben. Und deswegen kann dieser Nürnberger Hartmann Schedel auch 500 Jahre nach seinem Tod nicht abgeschrieben werden.

Der Mann – in all seiner Klugheit, Belesenheit und Lebenslust – wirkt immer noch nach.

Der schafft es an diesem Nachmittag sogar, dass eine junge Studentin für eine halbe Stunde die SMS ihres frisch gebackenen Ex vergisst. Tränen kommen ihr erst wieder, als sie auf die Ludwigstraße tritt. Die Moderne hat sie eingeholt.

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Aus Schedels Feder: Das ist wertvolles Kulturgut – seinerzeit wie heute.