BAUEN UND BLENDEN

„2017”*, Folge 59, 15. November. “Durchs Land”/I.

 

Murnau, kalt ist es im Land der „Blauen Reiter“ und gleißender Sonnenschein. Auf dem Laber kein Mensch, beschwingter Abstieg. Im Tal, in Oberau, sind sie vergnügt. Denn endlich bekommen sie ihre Urnenwiese. Da wird das Sterben erschwinglicher.

Die Toten werden es nicht mehr ganz so geräumig haben. Bislang haben Urnengräber zwischen zwei und acht Toten eine Heimstatt gegeben. Das wird anders. „Die Urnenwiese fasst bis zu 120 Aschenbehälter“, sagt Rathaus-Verwaltungsleiter Robert Zankel.

Dafür ist’s auch vergleichsweise billig: 15 Jahre auf der Urnenwiese kosten 460 Euro, während beispielsweise ein normales Einzelgrab für Erwachsene auf 510 Euro kommt, ein Doppelgrab auf 870, und ein Familiengrab mit drei Plätzen kostet 1230 Euro.

 

Häuser hat Krohns Vater gebaut. Ach was, Häuser! Er ist als Häuser-Künstler aufgetreten. Das Haar war immer ein wenig zu lang – also wirbelte es ungebändigt auf Vaters Kopf. Das mochte der gern, er sah dann aus wie Beethoven light.

Feine Hände hat er gehabt. Dünne Beine. Eine unauffällige Erscheinung war er. Bewegte sich nicht linkisch und nicht männlich, er war einfach da und als Mann nicht wichtig.

Nur sein Gesicht hatte etwas Eindringliches. Es konnten nicht die verkniffenen Lippen sein; die Nase war spitz und zu schmal; die Ohren standen ab und waren zu groß (aber Vater konnte mit ihnen wackeln). Als er 40 und 50 war, hatte Krohn sen. feiste Backen – dann bekam er es mit dem Magen und die Sauferei tat das Restliche, er wurde hager und ausgemergelt, mit 65 hatte er Backenknochen wie eine Mumie.

Es waren die Augen, an die man sich erinnerte. Sebastian Krohn hatte grüne Augen. Sie schienen träge, doch sie waren scheußlich flink. Der Mann sah nicht geradeaus in die Welt, er hatte meist den Kopf ein wenig gesenkt und blickte von unten auf das, was ihn interessierte.

Dazu hob er die Brauen. Das sah gefährlich aus und war es auch.

Sebastian Krohn lauerte. Er beobachtete die Menschen und speicherte die Schwächen. Wenn die Leute arglos waren, schnappte er sie sich.

Er war kein guter Mensch. Lachen klang bei ihm böse und begleitete das Missgeschick Anderer. Über sich selbst lachte Sebastian Krohn nie.

Er war zerfressen von dem Ehrgeiz, zu den Besseren zu gehören. Es hatte ihm nicht gereicht, dass er mit seinen dürftigen Schulabschlüssen eine Stelle als Zeichner erkämpft hatte.

Er war 23, als er beschloss, dass er besser war.

Holte das Abi nach. Studierte. Heiratete Eve. Baute das erste Haus, alpenländisch, mit vielen Erkern und einem Rundum-Balkon, von dem später die Geranien hängen sollten. Ein Haus wie zehntausende andere.

Sebastian Krohn schien Kraft für sieben Leben zu haben. Eve hielt ihm den Rücken frei, brachte en passant den Sohn zur Welt, was Sebastian zur Kenntnis nahm, mehr Zeit hatte er für dieses Ereignis nun wirklich nicht, er musste ein neues Haus bauen, einen neuen wichtigen Kontakt knüpfen, sich mit einem reichen Gönner besaufen.

Krohn sen. stand morgens um sechs auf, da hatte er verquollene Augen. Um zehn, wenn er sich zu den ersten Terminen mit Geschäftspartnern traf, sah er frisch und verwegen aus.

Er konnte erzählen wie ein alter Bergführer. Mit den Frauen war Krohn charmant und verstand sich aufs Zuhören. Er ging fremd, sicherlich, aber das passierte ihm eben aus Langeweile.

Vor allem überzeugte er alle, dass er der Beste war. Wer, wenn nicht er, hätte die Gebäude so genial ins Alpenland stellen können. Das erklärte Krohn den Politikern, mit denen er zechte. Er diktierte es den Journalisten in die Blöcke und schenkte ihnen nach dem Interview Montblanc-Stifte. Und der Kundschaft vermittelte er, was es für ein Geschenk war, wenn man sich von Sebastian Krohn ein Haus bauen lassen durfte.

Mit 30 wurde Krohn dick. Mit 35 fuhr er einen teuren BMW. Er bekam Preise, das Fernsehen drehte einen Film über seine progressive Gestaltung alpenländischer Wohnräume.

Einen Yachtclub auf Stelzen setzte er an den Starnberger See (damit war er auch in der Münchner Schickeria angelangt).

Im Salzburger Land bestellte eine Stadt bei Krohn die Orangerie für ihr neues Congress-Zentrum. Er entwarf einen Quader aus Granit und Glas – alle fanden es grandios.

In einem Tiroler Seitental entkernte er einen Tourismus-geilen Ort. Nach den Arbeiten konnte sich kein Einheimischer mehr das Wohnen im Dorf leisten, aber aus Wien zogen die Reichen zu.

Weil es sich gut schickte, richtete Krohn den Innenraum einer romanischen Kirche ein.

Für einen Öl-Scheich räumte er eine mittelalterliche Burg aus. Hernach sah sie von außen immer noch trutzig aus, drin aber hatte der Fußboden (Lärche, tabakgrau, retro, 1-Stab, natur-geölt) eine Heizung, die indirekte Beleuchtung machte eine warme gastliche Stimmung, die Küche kostete soviel wie Krohns gelber Porsche. Als die Burg fertig war, gastierte Krohn ein halbes Jahr beim Scheich. Danach baute er sich selbst ein Haus ins Voralpenland, das “Schöner Wohnen” mit einer Acht-Seiten-Reportage würdigte.

Fürs Foto musste Hans, gerade aufs Gymnasium gewechselt, einen Anzug tragen und lächeln.

Er sah seinen Vater nicht oft. An diesem Nachmittag – der Schreiber hatte einen Fotografen und dessen Assistenten dabei – war Krohn sen. mit seinem Sohn so nett und aufmerksam, wie der es noch nie erlebt hatte.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.