MOM, DAD, DARLING

„2017”*, Folge 58, 14. November. Morgens eine Sichel des Mondes am klaren dunkelblauen Himmel; dann wird es schmutzig-weiß da oben und dicker Nebel legt sich zwischen die Bäume.

 

Letzte Notizen vor der großen Reise. Am Stammtisch johlen sie und kümmern sich nicht um den Hanse. Er ist für sie schon ein Fremder.

Recht so. Das gefällt ihm. Er liest, was er mal geschrieben hat:

 

Vater, oder:

Die verpassten Gelegenheiten des Redens. 

Als der Vater beschied, meine Fotos seien scheiße, hatte ich es nicht leicht.

Als ich erkannte, dass der Vater Probleme mit meiner Scheiße hatte, habe ich versucht, das weg zu leben. Ich wollte ihm beweisen, dass… Ja, was eigentlich?

Als ich erkannte, dass er nicht Recht hatte, habe ich mich zurück gezogen. Ich habe versucht, Mitleid mit ihm zu haben, auch das haben wir vermasselt.

Als er gestorben ist

War ich nicht dabei.

Sein Tod

Ist mir nicht nah.

Sein Tod

Erreicht mich nicht.

 

Er war kurios.

Die Trauer hat mich

Zerrissen, als er lebte.

 

Er schien ein Edler – war er aber nicht. Er war ein falscher Entwurf.

Wahrscheinlich hat er es gewusst.

Bevor er selbst verletzt wurde, hat er um sich gebissen.

Im letzten Telefonat vor seinem Tod hat er gesagt,

„Deine Fotos machen keinen Sinn,

Du musst umlernen, mein Sohn.“

Krohn hat damals eingehängt.

 

Wir haben miteinander geredet, wie wir es verdient haben.

 

 

Die Mutter, oder:

Die Kälte vor dem Tod.

„Bald man kann schwimmen“, sage ich.

„Unfug“, erwidert sie. „Du hast das Schwimmen nie gemocht.“ Sie lächelt. Wie immer, wenn sie durch mich durch schaut – und ich weiß, dass sie es tut.

Mutter, ich kann Dir mein Denken  nicht mehr erzählen. Weil ich ins Nichts rede. Tot bist Du, Asche in einer Urne.

Ich rede mit Dir. Immerdar. Dein Sterben habe ich nicht ertragen. Entschuldigung, Mutter-

Du fehlst in meinen kleinen Leben.

 

Mutter,

wer Du warst, wissen wir womöglich nicht. Du warst mal kurz beschickert am Kuhdammm, da war ich ein kleiner Junge und konnte es nicht begreifen. Du hattest endlich mal Deinen Mann nicht an der Hacke, ihn und seine boshafte Eifersucht – die Kerle auf dem Ku’damm haben Dir hinter her geschaut. Da haste Dir eben einen gezwitschert.

Du hast mal an einem Muttertag geklagt. Da war ich zwölf und stand vor der Szenerie. Du hast Deinen Mann angeschrien. Wg. Seiner Lieblosigkeit und Eigensucht. Es war ein astreiner Burn Out.

Am nächsten Tag taten alle, als sei nichts passiert.

 

Mutter,

nun bist Du tot, und es heißt, dass die Zeit Wunden heilt. Tut sie aber nicht. Ich trickse mich nur aus und versuche, nicht an Dich zu denken.

Manchmal widerfährt mir was – und ich rede mit Dir. Es ist doch so, dass nur Du meine Animalität verstehen konntest. Du hast verstanden, was meinen Körper treibt, Du hast meine Erschöpfungen okay geheißen – und Du hast toleriert, wie quer mein Denken (das hast Du nicht verstanden) ist. 

Wir haben geredet, und Du und ich wussten, dass Du sterben würdest. „Scheiße“ hast Du gesagt, das Wort war nicht Deines.

Scheiße.

Scheißescheißescheiße.

 

Die Ehe, oder:

Falsch gewickelt.

Die Ehe war nicht gut. Die Frau wollte Wohlleben und Berechenbarkeit. Der Mann war nicht berechenbar. Die Frau wollte eine eheliche Wirtschaftlichkeit. So war sie.

Der Mann wollte die Ehe gut führen. Dazu war er nicht gemacht.

Das Streicheln wurde unkörperlich. Die Körper der Eheleute verloren sich.

Sie waren nicht mehr neugierig aufeinander. Sie begannen, sich furchtbar aneinander zu  gewöhnen.

Da gab es ein Aquarium. Das verreckte irgendwann.

Da gab es ein Babyphone.

Da gab es wieder ein Babyphone

Da gab es ein zu waschendes Auto.

Er wusch.

Silberfarbenes Auto ohne Wert. Aber es musste gepflegt werden. Man hatte es 

Zum Gutpreis erstanden.

Er schrubbelte über den Schaum. Da stand der Nachbar – ein ausgewiesener Spießer – hinter ihm

„Na“, sagte der verdammte Nachbar mit dem fetten Nacken.

Und dann meinte er- man war in Franken.

(Da muss man mal was erklären. Der Franke ist ein schwergängig-denkender Mensch. Wenn der Bauer Schorsch, das war Krohns Nachbar, den Hans beim Umgraben des Kartoffel-Grunds sah, meinte er: „Gell. Du grabst um:“)

Der Nachbar mit dem Stiernacken sagte also:

„Gell; Du wascht des Auto?“

Der Nachbar hatte Tücke-Augen.

„Gell, Du wascht Dein Wagn?“

Krohn zuckte zusammen.

So war sie, die Ehe.

 

Zeit, aufs Zimmer zu gehen. Hans Krohn zahlt in der Wirtschaft des Bergdorfs, in dem er aufgewachsen ist, die Rechnung, wünscht allseits einen guten Abend und ist weg.

Höchste Zeit.

Zu gehen.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.