ADÉ BERLIN

Es ist kurz vor Mitternacht noch sehr warm. Fred und „Zecke“ schwitzen, als sie parallel zur Heerstraße stadtauswärts wandern. Schon nach ein paar hundert Metern haben sie mächtig Durst.

„Is ja ‘ne Bergetappe.“ „Zecke atmet schwer. Fred grinst. Er geht schneller. Auch eine Art, sich für die Rauferei von einst zu revanchieren.

Vor der Aral-Tanke gammeln vier Alt-Hippies rum und trinken Schnaps mit Bier. Waren wohl auch bei den „Stones“ – so aufgekratzt, wie sie sind.

Bier und Whisky, Erdnüsse, Chips, alles in zwei Plastiktüten.

„Und jetzt?“

„Wir gehen ins Grüne“, schlägt Fred vor. „Is nich weit zum Wannsee. Und nur bergab.“

So trotten die Zwei – Gänsemarsch, jeder eine Dose Bier in der Hand – nach einem ersten Schluck aus der Whisky-Bottel am Postfenn die vereinsamte Straße zum See hinunter. Dort halten sie sich links, passieren ein dunkles Hotel wandern am Ufer südwärts. Fred führt sie zu einem Steg. Sie machen es sich bequem, schauen auf den See und zum anderen Ufer – da war früher DDR -, sie trinken und futtern und reden dies und das.

 

„Zecke“ hat ruppige Zeiten hinter sich. Mit der Wende geriet sein Leben (ohnehin schon eine Achterbahnfahrt) aus den Fugen.

Die Freundin verguckte sich am Mauerfall-Tag in so einen verfickten Ossi. Wurde von einem Morgen zum nächsten bürgerlich, zog mit dem Ossi nach Schwaben (jetzt sind sie wieder zurück, irgendwo in der Mark Brandenburg).

Ey, Mann,war ehrlich ne schlimme Zeit. Tusse away. Future lost, before begonnen. Geld? Nee, wirklich nicht.

Er, „Zecke“: abgetaucht im Wohlfahrtswesen. Monatlich der Bezug, half.

Kiosk. Bier vom Aldi.

Manchmal dachte er, er sei ein Mensch. Fuhr mit der S-Bahn, dorthin, wo es grün war.

„Zecke“ stieg aus und war fremd. Alles nette Leute. Er gehörte nicht her.

„Zecke“.

Was für ein verlierender Mann! 

Verlorener Mann.

Berlin wurde wer. “Zecke“ wurde weniger und weniger.

 

Er sitzt auf dem Steg, sieht hinüber auf die Villen der DDR, er verliert seine Sprache wegen des Biers und des Whisky. „Zecke“ wird weniger und weniger, er wird zum aktuellen „Zecke“. Hört nicht auf zu erzählen. Von Arbeitslosigkeit, von nichtwollenden Frauen, von einem Nicht-Leben.

 

Zwei Tage im Umland. Tankstellen. Supermarkt. Billiger Stoff. Nicht mehr nüchtern, wie auch?

Irgendwann – wie das passiert ist, lässt sich nicht eruieren – haben sich Fred und „Zecke“ verloren. Das war furchtbar.

Danach hat Fred in seine Schöneberger Kneipe heimgefunden.

 

Es ist dreiviertel sechs, Krohn trinkt einen Kaffee.

Und Fred salbadert. Wie geil die „Stones“ seien, wie geil der Ausflug mit „Zecke“ gewesen sei, dass er nicht nach Hause wolle. Sososo.

Hans Krohn ist genervt. Er trinkt aus, geht nach „Hause“. Im kleinen Park steht einer. Scheiße, denkt Krohn, Scheiße, wieder so ein Exhibitionist, Hose runter gelassen. Aber die Hose ist bei näherem Besehen runter gerutscht, weil der Typ den Gürtel gebraucht hat, um den Arm für die nächste Spritze abzuschnüren.

Scheiße, denkt Krohn. Verfickte, verkackte, verfotzte Scheiße.

Höchste Zeit abzuhauen.